Ein Wiedersehen

 

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1990 in Gran Canaria, Taurito Playa

Waren wirklich schon so viele Jahre vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten? Immerhin 26 Jahre! Ich schaute ihr entgegen, als sie über den Bahnhofsvorplatz auf mein Auto zu lief. Sie stieg ein und ich hatte das Gefühl, dass wir uns erst gestern begegnet wären. Ist sowas möglich? In meinen Augen sah sie noch genauso aus wie damals, als wir uns auf einer Jugendtouristreise nach Bulgarien kennengelernt hatten. (Mit “Jugendtourist” nach Bulgarien) Ihr Lachen, die Stimme, die Haare, der Gang – Elke! Ein Jahr nach unserem Kennenlernurlaub waren wir noch ein zweites Mal zusammen unterwegs. Die Wende war dazwischen gekommen und mit ihr die Möglichkeit, neue  Reiseziele zu entdecken. Ganz kurz kamen mir die Erinnerungen an zwei Wochen Gran Canaria in den Sinn. Doch es würde später noch Zeit sein, darüber zu erzählen.

 

Ich musste losfahren, hier konnte ich nicht parken. Wir fuhren Richtung Innenstadt in ein Parkhaus. Dann begrüßten wir uns erstmal richtig und freuten uns, dass wir es endlich auf die Reihe gekriegt hatten uns zu treffen.

Im Mai hatte ich sie auf Facebook „gefunden“ und Kontakt aufgenommen. Seitdem hatte sich noch keine Gelegenheit für ein Treffen ergeben, familiäre Ereignisse machten uns immer wieder einen Strich durch die Rechnung, doch aufgeschoben war ja nicht aufgehoben.

Nun saßen wir uns in dem Restaurant in der Nähe der Krämerbrücke gegenüber und erzählten uns gegenseitig unsere Geschichten. Es fühlte sich vertraut an und herzlich. Handyfotos wurden angeguckt und das erste Foto gemacht zum Senden an die Dritte im Bunde, die damals mit auf der Bulgarienreise war. Nach dem Essen gönnten wir uns einen heißen Punsch auf der Krämerbrücke. Es wurde schon dämmrig und die Zeit eilte uns davon. Wie schade, dass wir uns damals aus den Augen verloren hatten.

Als wir uns am Abend verabschiedeten, fiel uns auf, dass wir nur über unser jetziges Leben gesprochen hatten. Wir machten aus, dass unsere Erlebnisse von damals beim nächsten Treffen dran sind. Dann wollen wir auch die alten Fotos zum Anschauen mitbringen, freu ich mich jetzt schon drauf. Wir bleiben dran und vor allem in Kontakt. Es ist so schön, dass wir uns wieder gefunden haben.

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2016 in Erfurt, Krämerbrücke

 

 

Leben im Sperrgebiet


Wir lebten im ehemaligen Sperrgebiet der DDR, also nahe an der ehemaligen Grenze nach Westdeutschland. Sperrgebiet bedeutete, dass da keiner so ohne Weiteres hinein konnte, es sei denn, man wohnte selbst dort. Besucher mussten einen Passierschein beantragen. Das Beantragen konnte sich schon mal über ein paar Wochen hin ziehen. Also bekamen wir selten Besuch von außerhalb des Sperrgebietes. So sah ein Passierschein aus:

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Wenn wir mit dem Bus zum Einkaufen in die Kreisstadt gefahren sind, konnten wir von einer bestimmten Stelle aus die Veste Coburg sehen. Das war schon der „Westen“. Coburg war gar nicht so sehr weit weg und doch für alle Zeiten unerreichbar für uns. Meine Oma hat mir erzählt, dass vor Coburg noch die Dörfer Roßfeld und Rodach kommen. Das habe ich mir gemerkt, denn in unseren Schulatlanten waren diese Orte nicht zu sehen.

Bei der Rückfahrt in unser Dorf (die Kreisstadt lag außerhalb des Sperrgebietes), kamen wir wieder am Kontrollpunkt vorbei. Wenn der Schlagbaum zu war, wurden manchmal die Fahrgäste kontrolliert. Sie mussten ihren Personalausweis bzw. ihren Passierschein zeigen. Dabei hatte ich immer ein mulmiges Gefühl.

Im Dorf merkten wir Kinder nichts vom Sperrgebiet. Wir gingen hier in den Kindergarten und zur Schule und trieben uns an den Nachmittagen irgendwo draußen herum. Wir spielten Federball und Völkerball auf der Straße, weil ja kaum ein Auto fuhr. Nur wenige Familien hatten ein Auto. Zur Arbeit in die Stadt fuhren die Leute mit dem Bus, das übliche Verkehrsmittel. Wenn die Busse um 17.00 Uhr die Berufstätigen wieder nachhause brachten, mussten wir kurzzeitig von der Straße gehen. Es kamen dann mehrere Busse kurz hintereinander, zwei hielten bei uns an der Bushaltestelle, die anderen fuhren gleich weiter in die nächsten Dörfer. „Arbeiterbusse“ wurden sie genannt und sie waren immer proppevoll. 17.20 Uhr kamen dann noch mal ein paar Busse, dann war erst mal wieder Ruhe und wir konnten weiter Federball, Rollerkunstfahren und Fahrradfangeles auf der Straße spielen.

Ich denke sehr gerne an die Zeit. Obwohl unser Dorf mit ca. 600 Einwohnern nicht sehr groß war, hatte ich 13 Schulkameraden hier. Es gab genug Spielkameraden und wir wussten uns zu beschäftigen. Keiner wäre je auf die Idee gekommen seine Eltern zu fragen: was soll ich denn spielen/machen? Uns ist immer was ein gefallen, manchmal natürlich auch Blödsinn. Unsere Gasse war am Nachmittag voller Kinder. Wenn es um 18.00 Uhr geläutet hat, musste ich heim, da gab es Abendbrot. Danach durfte ich im Sommer noch mal raus. Das schlimmste Verbot war für mich, wenn ich nicht raus durfte zu den anderen Kindern, weil ich was ausgefressen hatte. Einmal habe ich zum Beispiel ein paar Kinder mit in unsere Scheune genommen und wir sind oben vom Balken runter ins Heu gesprungen mit einem Regenschirm in der Hand, wie Pan Tau. Wir sind erwischt worden. Da gab´s Ärger! Erstens war das eine beachtliche Höhe vom Balken herunter, zweitens hätte da noch eine vergessene Heugabel liegen können und außerdem war das Heu als Futter für die Tiere gedacht, da springt man nicht drin rum, und überhaupt war die Scheune tabu als Spielplatz. So war das eben und ich sah das ein.

Ich fühlte mich gücklich, behütet und erlebte eine ganz normale Kindheit. Bewusst nahm ich die Sperrzone und deren Einschränkungen erst im Jugendalter wahr. Als ich dann ab Ende 8. Klasse das erste Mal zum Jugendtanz durfte und später die ersten Verabredungen mit Freunden ausmachte, achtete ich schon darauf, mir möglichst keinen aus dem Sperrgebiet zu suchen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte …

Unser Dorf war bis 1974 im Sperrgebiet, danach ist der Kontrollpunkt ein paar Kilometer weiter zurück versetzt worden bis zwischen dem nächsten und übernächsten Ort.

Das war für unsere Familie nicht so günstig, denn nun mussten wir selbst Passierscheine beantragen, wenn wir die Oma besuchen wollten …

Heute fahre ich wie selbstverständlich durch Roßfeld und Rodach nach Coburg. Es gibt keine Staatsgrenze mehr, nur noch die Landesgrenze zwischen Thüringen und Bayern. Der ehemalige Grenzstreifen erinnert noch an die alten Zeiten. Ich muss oft an Oma denken, sie hat die Wende nicht erlebt. Manchmal kann ich es selbst noch nicht glauben, dass wir jetzt überall hin fahren dürfen. Es ist immer noch wie ein kleines Wunder für mich. Auch wenn ich mich als Kind und Jugendliche nie „eingesperrt“ gefühlt habe in der DDR, war doch tief in mir drin immer der Wunsch, die Welt zu sehen, all die Orte zu besuchen, die ich nur von Postkarten her kannte oder die ich mir voller Fernweh im Atlas ausgesucht hatte. Was für ein Glück, dass ich an einige dieser Orte schon ein Häkchen für „ich bin da gewesen“ machen kann.