Winterspaziergang

Nach der langen Arbeitswoche hätte ich eigentlich mehr als genug im Haushalt zu tun gehabt, denn unter der Woche ist viel liegen geblieben und ich wollte nicht die ganze Arbeit am Wochenende erledigen. Doch es fiel mir schwer, bei diesem herrlich-strahlenden Sonnenschein und den eisigen Temperaturen den ganzen Freitagnachmittag im Haus zu verbringen und mit „Pflichten“ zu vergeuden. Ich bin nicht so der Wintermensch, eher eine Frostbeule mit zwei Beinen, mag lieber den Sommer mit tropischen Temperaturen. Warm eingemummelt entschied ich mich trotzdem spontan für eine kleine Frischluftkur, überlegte am Hoftor kurz, ob ich links oder rechts entlang gehen sollte, entschied mich für links, machte mich auf den Weg und war nach wenigen Minuten außerhalb des Dorfes. Die klirrend kalte Luft bitzelte in meinem Gesicht wie tausend feine Nadelstiche. Beim Ausatmen wallten feuchtwarme Wölkchen aus meinem Mund und vereinigten sich mit der Winterluft. Die Geräusche aus der Umgebung, meine knirschenden Schritte im Schnee und mein leichtes Schnaufen beim Hügelaufwärtsgehen nahm ich durch meine kuschlig warmen Ohrenschützer sanft gedämpft wie durch einen Wattebausch wahr.

Die Kamera baumelte startklar über meiner Schulter und ich hielt gewohnheitsgemäß Ausschau nach interessanten Motiven, während sich meine Lunge allmählich an die zweistellige Minustemperatur angepasst hatte und tapfer tiefe Züge der schneidend kalten Luft inhalierte.

Während ich am Feuerlöschteich vorbei Richtung Wald durch den hart gefrorenen Schnee stapfte, genoss ich die freie Zeit und nahm mir vor, wieder öfter spontan einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Nicht nur wegen der frischen Luft und zum Fotografieren – einfach nur so, zum Abschalten und Natur bewundern.

Nach anderthalb Stunden kroch trotz stetiger Bewegung die Kälte allmählich an meinen jeansumhüllten Beinen hoch, die Nase und die Wangen hatten sich gerötet und die im Schnee stark reflektierende Sonne ließ schwarze Punkte vor meinen Augen tanzen. Hätte ich nur eine Sonnenbrille aufgesetzt!

Ein halbe Stunde später saß ich bei meinen Eltern am Kaffeetisch, angenehm erhitzt trotz kalter Beine, mit frischer Hautfarbe, total entspannt und ausgeglichen. Meinen Haushalt hatte ich vergessen, er würde mir nicht weglaufen. Ich hatte ein paar Fotos im Kasten und freute mich auf den Abend, wo ich sie mir auf dem Laptop anschauen und die Stimmung des Nachmittags noch einmal nachspüren würde.

Ob am Ende doch noch ein Wintermensch aus mir wird?

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trotzt der Eiseskälte

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Himmelsblick

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Eisapfel

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ohne Moos nichts los

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Fürstenweg

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keiner da zum Küssen 😉

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Es geht aufwärts

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wir zwei halten zusammen

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Straufhain und Veste Heldburg mit Deutschem Burgenmuseum

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Die Steinsburg (Kleiner Gleichberg)

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nicht spurlos

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Einblick

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frisch poliert und zart gepudert – Kiliankirche zu Bedheim mit Schwalbennestorgel

 

 

 

 

 

Schlaflos in Seattle – äh, in Morsleben

Also „Schlaflos in Morsleben“ ohne Tom Hanks 😉

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Morsleben liegt nicht mal in der Nähe von Seattle. Im Grund genommen sehr weit weg davon und sehr wahrscheinlich gibt es auch nicht wirklich viel Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Orten. Dass es für mich eine (fast) schlaflose Nacht (natürlich ohne Tom Hanks) in diesem kleinen Dorf in der Börde werden würde, ahnte ich natürlich nicht, als ich mein Auto vor dem wunderschön hergerichteten Bauernhaus abstellte.

Das Zimmer gefiel mir. Ich brauchte es zwar nur für eine Nacht, hatte aber nichts gegen eine gewisse Wohlfühlatmosphäre einzuwenden. Gegenüber der Tür ließen zwei Fenster Richtung Innenhof viel Licht in den Raum. Links stand mein Bett, rechts ein Sofa, in der Mitte ein Tisch mit Stühlen, dahinter ein Sideboard mit TV – also ein ziemlich großzügiges Zimmer. Rechts neben der Tür war ein Teil des Raumes abgetrennt für Dusche und WC, neu und modern. Prima!

Viel Gepäck hatte ich nicht mit rein genommen, meinen kleinen Rucksack mit den Dingen, die ich auf Reisen immer mit mir rum schleppe sowie eine Tasche mit den Kleidungsstücken für morgen und mit meinem Waschzeug. Ich hatte mir vorgenommen, nicht all zu spät ins Bett zu gehen, denn für den nächsten Morgen hatte ich mich zu einer Besichtigung des Endlagers Morsleben angemeldet und schon für halb sieben das Frühstück bestellt.

Das nette Ehepaar, das die Pension betreibt, hat weiter hinten im Garten einen gemütlichen Bungalow, da saß ich dann noch eine ganze Weile auf ihre freundliche Einladung hin mit den beiden zusammen und wir unterhielten uns sehr angeregt. Zufällig stammte die Frau aus meiner Gegend und freute sich, mal wieder ihre Mundart zu hören.

Es war so gegen 22.30 Uhr, als ich dann endlich in meinem wirklich gemütlichen Bett lag. Der Wecker in meinem Handy war auf 6.10 Uhr gestellt, meine Sachen lagen bereit, ich konnte beruhigt einschlafen. Jetzt machte sich auch die lange Autofahrt bemerkbar, sie hatte mich doch ziemlich erschöpft und mir fielen schnell die Augen zu.

Um halb zwei wachte ich auf, weil ich glaubte, etwas gehört zu haben. Ich lauschte in die Dunkelheit und hörte – nichts. Scheinbar hatte ich geträumt. Immerhin war ich nicht mal sicher, was genau ich gehört hatte. Gerade als ich noch so ein bisschen darüber nachdachte und schon fast wieder am Wegdämmern war, ertönte ziemlich vernehmlich ein Piepton, laut und deutlich. Na also, doch nicht geträumt!

Plötzlich hellwach schaltete ich die Nachttischlampe an und guckte mich um. Was war das? Mein Handy? So ein Ton kam da bisher eigentlich noch nicht raus, aber man kann ja nie wissen … Am Handy war alles wie immer, stellte ich nach kurzer Besichtigung fest. Vorsichtshalber guckte ich nochmal nach der Weckzeit, auch perfekt! Ich saß im Bett und hoffte, dass es noch einmal piepsen würde, damit ich die Richtung des Tones lokalisieren und ihn ausschalten konnte. Es blieb ruhig. Keine Ahnung, wie lang ich da auf der Bettkante saß und lauschte. Zwischendurch kippte ich ein paar Mal leicht ab, als mich die Müdigkeit übermannte, fing mich aber dann gleich wieder, um angestrengt weiter zu horchen, aber nichts rührte sich mehr. Es war vorbei. Ich knipste die Nachttischlampe aus, kuschelte mich unter meine Decke und war froh, meine Ruhe zu haben.

Genau in diesem Moment piepste es wieder! Sofort sprang ich aus dem Bett, machte diesmal die Deckenbeleuchtung an und blieb mit dem Rücken zur Tür stehen, um das ganze Zimmer überblicken zu können. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht dahinter käme, wo sich dieser Piepser versteckt hat. Systematisch suchte ich sehr gründlich Wände, Decke, Fußboden und sämtliche Möbelstücke nach dieser eigenartigen Geräuschquelle ab, konnte aber nichts Auffälliges feststellen. An der Decke hing nur die Lampe, an den Wänden war nichts Auffälliges und vom Boden her schien mir das Geräusch eh nicht her zu kommen. Dann schlich ich mit gespitzten Ohren um den Tisch herum. Und da piepste es wieder! Genau, das Piepsen kam eindeutig vom Tisch her! Meine ganze Aufmerksamkeit galt nun diesem Möbelstück. Ich fühlte ihn ab und kroch darunter, guckte mir die Tischplatte von unten an – fand erstmal nichts. Doch so schnell gebe ich nicht auf! Da lag ja so Einiges von mir herum.

Es half nur eins: auspacken, was ich bei mir hatte und möglicherweise Töne von sich geben könnte (oder auch nicht). Innerlich stöhnte ich kurz genervt auf, war dann aber voll motiviert und fest überzeugt, den Piepser nun zu finden.

Ich packte in meiner Verzweiflung einfach ALLES aus. Zum Glück war es ja nicht so viel, das Meiste hatte ich ja im Auto gelassen. Nach kurzer Zeit lagen auf der einen Seite des Tisches Fotoapparat, Ladegerät für Handy, mobiles Handyladegerät, Fön, elektrische Zahnbürste, Selfie stick, Feuerzeug, Ladegerät für Akkus vom Fotoapparat, sämtliche Akkus, Ersatz-Bluetooth-Auslöser, Fernbedienung vom Fernseher. Auf der anderen Seite: Geldbeutel, Fahrzeugpapiere, Autoschlüssel, Labello, noch ein Labello, Tempotaschentücher, Sonnenbrille, Lesebrille, mein Buch, Haargummi, Kaugummi, Schminktäschchen, Brillenputztuch, SD-Karte, Kuli, Notizblock, Haarreifen, Deoroller. Ich guckte auch ins Bad, aber da stand nur mein Waschzeug rum und nichts, was eventuell piepsen könnte, außer der Zahnbürste und die hatte ich schon zu Kontrollzwecken auf dem Tisch platziert.

Ich nahm mir jedes einzelne Teil genau vor, schüttelte meinen Rucksack und die Tasche noch mal aus, kontrollierte auch die Hosentaschen meiner Jeans. Meine Füße wurden kalt, weil ich barfuß rum lief. Da fiel mir ein, dass ich mich vielleicht doch verhört hatte und das Piepsen von draußen herein gekommen ist. Also schloss ich vorsorglich das Fenster, obwohl ich gar nicht gerne bei geschlossenem Fenster schlafe.

Es hatte nun schon eine ganze Weile nicht mehr gepiepst. Sehr komisch! Erst kurz hintereinander, dann eine Weile wieder nichts und man denkt, es ist vorbei …Ich war hundemüde und wollte doch nur eins: endlich weiter schlafen. Mit der Hoffnung auf wenigstens noch ein bisschen Nachtruhe legte ich mich wieder hin. Tatsächlich schlief ich ein. Kurz. Bis es wieder piepste.

Naja, egal, ich wollte sowieso aufstehen, um das Fenster wieder zu öffnen. Ratlos untersuchte ich auch noch das Fernsehgerät von allen Seiten und zog den Stecker heraus.  Als ich zum Bett zurückging, fiel mein Blick auf den Autoschlüssel. War das etwa die Nervensäge? Da muss ja irgendwas drin sein, sonst würde ja die Fernbedienung am Auto nicht funktionieren. Vielleicht eine Monozelle oder sowas. Keine Ahnung. Das muss ich unbedingt mal recherchieren … Sollte ich vielleicht vorsichtshalber mal nach meinem Auto gucken? Guter Gedanke. Ich schlich mich also barfuß im Shorty raus vor die Haustür, bediente zweimal die Fernbedienung: Türen auf, Türen zu – stellte fest, dass alles normal funktionierte und schaffte es grade so zurück ins Haus, bevor die Haustür ins Schloss fiel und mich ausgesperrt hätte. Na das hätte mir noch gefehlt! Den Zimmerschlüssel, der gleichzeitig zum Öffnen der Haustür diente, hatte ich nämlich vor lauter Schusseligkeit im Zimmer liegen gelassen.

Inzwischen wurde es draußen schon langsam hell. Ich war sowas von müde und überlegte, welche Optionen mir jetzt noch blieben. Das Ehepaar anrufen ging nicht, denn ich hatte nur die Nummer der Pension und das Telefon stand neben Haustür am Empfang, während sie vermutlich eine Etage über mir wohnten und selig schliefen. Eine Handynummer hatte ich nicht von ihnen. Ich zog kurzzeitig in Erwägung, im Frühstücksraum auf einem Stuhl weiter zu schlafen oder auf dem Billardtisch und musste über mich selbst lachen. Es waren auch noch andere Gäste im Haus, doch was würde das für einen Eindruck machen, wenn ich mitten in der Nacht um Asyl nachfragte? Also irgendwie kamen alle Möglichkeiten nicht in Frage. Da stand ich nun in meinem Zimmer und mir fiel nichts Besseres ein, als alle meine Sachen, die auf dem Tisch lagen, nebst Klamotten, dem Handy, der Fernbedienung für den Fernseher, dem leeren Rucksack, der Tasche, dem Autoschlüssel und den Turnschuhen ins Bad auf den Fußboden unter das Waschbecken zu legen, mit der Decke und ein paar Kissen vom Sofa zuzudecken und die Badtür zu schließen. Wenn sich der Piepser eventuell doch zischen meinen Sachen befand, dann würde ich ihn jetzt nur noch sehr gedämpft wahrnehmen oder gar nicht mehr. Haha, ich lass mich doch nicht von so einem Piepser unterkriegen! Wo kommen wir denn da hin? Mir reicht es nämlich jetzt, so! Verbannung ins Bad – da kann das Ding sich dumm und dämlich piepsen. Also vorsichtshalber guckte ich aber doch nochmal unter das Bett …

Mit einem Handtuch ausgerüstet, total fix und alle, mit immer noch kalten und inzwischen auch schmutzigen Füßen kroch ich, zu 50% entschlossen, zu 50% der Verzweiflung nahe, unter meine Decke. Das Handtuch legte ich mir über die Augen, um meinem Bewusstsein vorzuschwindeln, dass es noch dunkle Nacht sei (leider war es mittlerweile schon glockenhell draußen). Viel Zeit blieb mir nicht mehr. Zwei Piepser ertönten noch in kurzen Abständen hintereinander. Es klang fast schon ein bisschen hämisch oder bildete ich mir das nur ein? Ich hatte nur noch ein gequältes Seufzen übrig und konnte mich nicht entscheiden, ob ich lachen, weinen, verrückt werden oder es einfach ignorieren sollte. Ich wollte es mit dem Letzteren probieren, einfach ignorieren. Da auch das Nichthinhören auf die Dauer unheimlich anstrengend und ermüdend sein kann, wirkte es dementsprechend. Im Halbschlaf gingen mir ganz sonderbare Gedanken durch den Kopf: Psychoterror, Stasigefängnisse, Folter, versteckte Kameras, Strahlungen aus der Deponie, blutrünstige Insekten – ich lese eindeutig zu viele Romane oder meine Fantasie ging mit mir durch in Anbetracht der Lage!

Irgendwann bin ich tatsächlich eingeschlafen. So fest, dass ich nichts mehr gehört habe oder es kam tatsächlich kein Geräusch mehr, ich weiß es nicht. Jedenfalls hatte ich einen sehr realistischen Traum gehabt: es war früher Morgen. Eine fremde Frau und meine Nichte waren im Zimmer und ich erzählte ihnen gerade haargenau das, was ich in dieser Nacht durchgemacht hatte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass im Traum die Tür vom Badezimmer an einer anderen Stelle war. Sonst war alles genau gleich. Die beiden glaubten mir nicht. Das regte mich auf. Mitten in meinem Bericht piepste es wieder, immerzu hintereinander. Es wollte gar nicht mehr aufhören. Davon wurde ich wach und stellte fest, dass es nicht im Traum piepste, sondern in Wirklichkeit – ach so, der Wecker von meinem Handy. Was denn, schon aufstehen? Und wieso liegt ein Handtuch auf dem Kopfkissen? Also ich mag nicht gerne mitten im Traum geweckt werden, schon gar nicht wenn er so realistisch ist. Andererseits hatte ich was vor und musste raus, in zwanzig Minuten hatte ich mein Frühstück bestellt. Ich musste kurz darüber nachdenken, was man doch für einen Schwachsinn träumen kann. Irgendwie fühlte ich mich noch total müde. Ich wollte den Weckton abschalten, fand aber das Handy gar nicht. Nanu? Ich hatte es doch gestern Abend neben das Bett gelegt? Der Weckton kam irgendwie so gedämpft bei mir an. Hatte ich das Handy etwa im Bad liegen gelassen? Ich tappte verschlafen und gähnend ins Bad.

Da traf mich fast der Schlag. Unter dem Waschbecken – die Sofadecke und die Kissen, darunter mein ganzer Krimskrams, dazwischen irgendwo mein Handy. Mir wurde heiß und kalt, weil ich Traum und Realität kaum noch auseinanderhalten konnte. Ist das die Grenze zum Durchdrehen? Gerade als mir bewusst wurde, dass mein Traum die fiktive Fortsetzung der Realität gewesen ist und ich darüber nachgrübelte, wie sowas denn möglich sein kann, piepste es wieder. In Wirklichkeit! Und nicht aus meinem Handy. In einem Comic hätte der Zeichner seiner Figur wohl an dieser Stelle die Haare zu Berge stehen lassen.

Bei Tageslicht wirkte der Ton längst nicht mehr so extrem schrill wie nachts und tatsächlich entdeckte ich endlich das Corpus Delicti an der Decke genau über der Tür. Ein Rauchmelder! Oh Mann! Kein Wunder, dass ich ihn in der Nacht nicht sehen konnte, denn da hatte ich das Teil ja hinter mir, als ich mit dem Rücken zur Tür das Zimmer inspizierte. Gehört so ein Teil nicht in die Mitte des Raumes? Naja, das war mir ja nun auch egal, die Nacht war rum. Vermutlich waren die Batterien darin leer, ich würde es nachher den Leuten sagen und sie würden sich darum kümmern.

Irgendwie war ich echt beruhigt, dass es nur der Rauchmelder war und dass ich nun erleichtert und belustigt darüber lachen konnte. Die nächste Nacht würde ich bestimmt ganz früh ins Bett gehen und den verpassten Schlaf nachholen … oder die übernächste Nacht. Eine ganze Woche Urlaub zum Ausschlafen lag ja noch vor mir.

Sie nannten ihn Heino

Er kann Geschichten erzählen. Viele Geschichten. Würde er ein Buch schreiben, so hätte es viele Seiten. Hätte er alle Fotos von damals noch … Aber er durfte sie natürlich nicht behalten. Er musste alle abgeben. Sicher wurden sie alle vernichtet, als er 1974 nach zehn Jahren Dienstzeit in ein Leben ohne Befehle, Grenzstreife, Uniform, Waffe und all dem,  was zu seinem bisherigen Alltag gehörte,  zurück ging.

Sie hatten ihn Heino genannt, die vom BGS auf der anderen Seite der ehemaligen Staatsgrenze. Kein Wunder – die Haare semmelblond, seitlich gescheitelt, markante Gesichtszüge, schlank, die dunkle Sonnenbrille – unverkennbar die Ähnlichkeit, da hat man schnell seinen Spitznamen weg. Wenn er mit seiner Kamera an der Grenze unterwegs war zwischen Holzhausen und Eishausen, dann wussten drüben alle bescheid: Aha, der Heino hat wieder Dienst. Nach so vielen Dienstjahren kannte man sich vom Gesicht her. Da flog auch mal eine Schachtel Zigaretten über´n Zaun oder ein paar Worte wurden gewechselt. Jetzt darf man das ja schreiben.

Einmal fragte einer von drüben: „Na? Heut wird wohl nicht fotografiert?“ Heino antwortete: „Nö, heut nicht. Gibt keine Filme.“ Tja, die üblichen Engpässe in der sozialistischen Planwirtschaft …

Irgendwann landete mal ein Hubschrauber auf der anderen Seite. Ein General war an Bord und begrüßte „Heino“ persönlich über den Zaun hinweg. Da hatte es sich also tatsächlich bis ins Hauptquartier des BGS herum gesprochen, dass es einen ostdeutschen Heino gab. Es wurden Filmaufnahmen gemacht. Der General sagte zu Heino, dass er am nächsten Tag im ZDF zu sehen wäre. Natürlich wurde am nächsten Tag West-Fernsehen geguckt, aber es kam nichts. Wer weiß, ob es tatsächlich Aufnahmen gab und wenn ja, ob diese überhaupt noch existieren in irgend einem Archiv der Bundeswehr oder des ZDF… Da fällt mir ein, dass ich bei einem Seminar mal einen vom Fernsehen kennen gelernt habe, vielleicht … hm – mal sehen.

1989 wurde die Grenze geöffnet. Angehörige von Heino fuhren von da an gelegentlich am Sonnabendvormittag nach Coburg. Den Opa, Heino´s Vater, nahmen sie immer mit in den „Westen“ und setzen ihn so lange im Gasthaus „Alter Fritz“ ab. Er brauche sich das alles nicht mehr anzugucken, wie er meinte, schließlich wäre er oft genug „drüben“ gewesen während seines Rentendaseins und „kenne sich aus“, er wolle lieber in der Wirtschaft sitzen und ein bisschen mit den Leuten rumlabern. Das tat er dann auch und wurde beizeiten an einem Stammtisch integriert, wo er erstmal im Mittelpunkt des Interesses stand. Er lud dann auch mal einen Herrn mit seiner Frau zu sich nachhause ein, eine Freundschaft bahnte sich an. Das Ehepaar kam dann gelegentlich zu Besuch und wurde schließlich sogar zum 50. Geburtstag des Schwiegersohnes eingeladen, zu dem natürlich auch Heino mit Familie eingeladen war.

Wie das Leben manchmal so spielt, saßen sich der Heino und der Herr vom Stammtisch aus dem Gasthaus „Alter Fritz“  in Coburg an der festlich gedeckten Kaffeetafel in der guten Stube zufällig gegenüber. Sie guckten sich an. Sie guckten sich sehr genau an. Ein Erkennen spiegelte sich gleichzeitig auf ihren Gesichtern wider. Sie konnten es fast nicht glauben: „Du bist doch der Heino!“ sagte der Herr vom Stammtisch, der ehemals beim BGS war. „Und ich kenn dich auch!“ sagte der Heino. Und dann wurde erstmal einer darauf getrunken.

Zufälle gibt es!

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Ich guck mal eben Himmel an

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Gestern Abend – die Hitze des Tages wollte einfach nicht weichen und ich sehnte mich nach einem winzigen Hauch frischer Luft auf meiner Haut, der vielleicht ein bisschen Kühlung versprechen würde – zog es mich in den Garten, wo ich oft den Tag mit Blick auf die zwei Berge ausklingen lasse. Manchmal, so wie gestern, habe ich die Kamera dabei. Nach meinem Fotokurs bin ich immer noch am Üben, Ausprobieren und Entdecken der Funktionen, die sich an ihr befinden. Ich guck mal eben Himmel an, sagte ich zu meinem Mann.

Die Wolken und die Sonne wechselten sich ab in ihrer Vorherrschaft und irgendwo in der Ferne grollte schon ein Gewitter. Ich beobachtete einfach nur, naschte zwischendurch Kirschen vom Baum, habe bestimmt hundert Fotos aufgenommen, mir wieder mal die Augen verblitzt vor lauter Sonne gucken und dadurch bunte Sternchen auf dem dunkler werdenden Rasen gesehen – hat aber auch was … Menno, dabei hab ich doch jetzt so ne schöne Sonnenbrille sogar mit eingeschliffener „Nahsicht“ – grins – damit ich die Zeichen auf dem Rädchen der Kamera auch erkennen kann. Nach dem Sonnenuntergang kam das Unwetter und es goss in Strömen. Das Wasser füllte in nullkommanix die Regentonnen und schoss in hohem Bogen darüber hinweg. Wären die Blitze nicht gewesen, dann hätte ich mich mitten in den Garten gestellt und die kalte Dusche genossen. Leider bin ich ein Feigling, denn ich glaube, auch wenn das Risiko eher gering ist, Blitze können verdammt weh tun und vielleicht sogar klein und schrumpelig machen – keine Ahnung – egal. Damit wollte ich mir auf alle Fälle noch ein bisschen Zeit lassen 😉 So guckte ich nur zu, bis sich das Wetter wieder beruhigt hatte und die Hitze zurück kam. Das hätte sie sich sparen können, denn als ich die Pfütze unter dem Schlafzimmerfenster, genau am Fußende des Bettes weg wischte, war mir genau so heiß wie vorher. Vor der nächsten Unwetterfotosession sollte ich unbedingt zuerst die Fenster im Haus schließen. Macht absolut Sinn!

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An die Dame mit den langen Fingern

Herzlichen Glückwunsch zu meiner Sonnenbrille! Sie hatten wirklich echtes Glück gehabt, dass ich sie neulich in der Klinik liegen gelassen habe. Natürlich wäre es absoluter Blödsinn gewesen, sie an der Rezeption abzugeben. Nein! Um Himmels willen! Wer macht denn sowas?

Tja – Sie waren nun mal schneller als ich – Pech, so spielt das Leben! Erst war ich ja ziemlich traurig und auch wütend. Die Sonne schien und ich brauchte die Brille dringend zum Autofahren, weil ich ohne Brille doch immerzu niesen muss, wissen Sie? Inzwischen sehe ich das anders. Bestimmt sind Sie eine ganz arme, bedürftige Person, die nicht genug Geld hat, sich eine eigene Sonnenbrille zu kaufen. Das tut mir sehr, sehr leid für Sie. Damit Sie nun kein schlechtes Gewissen mehr haben müssen, weil Sie die Sonnenbrille gestohlen haben, schlage ich Ihnen vor, dass ich sie Ihnen ganz einfach schenke – nachträglich natürlich. Behalten Sie meine Sonnenbrille und freuen Sie sich über mein schönes Geschenk! Immerhin ist es eine Polaroid! Zusätzlich möchte ich Ihnen auch noch das Brillenetui dazu schenken, denn was soll ich nun damit? Es gehört nun auch Ihnen. Ich brauch es nicht mehr. Ich fühle mich nun sehr gut, weil ich Ihnen bestimmt eine große Freude gemacht und die schwere Last des Diebstahls von Ihrer Seele genommen habe, stimmt`s? Ich hinterlege das Etui da, wo ich auch die Brille abgelegt hatte. Aber bitte schnell sein! Am Ende gibt es hier noch mehr langfingrige Damen … – oh oh!

Übrigens bekam ich diese Sonnenbrille mal in einem spontanen Anflug voller Dankbarkeit von einem Freund geschenkt, als ich ihm geholfen hatte, seine Wohnung in Ordnung zu bringen, damit er keinen Stress mit seiner Frau bekommt, die an diesem Tag von einer Reise zurück kam – verrückt, ne? Das ist nun fast zwei Jahre her – also hatte ich die Brille auch wirklich lange genug –  allerhöchste Zeit für eine Neue!

Ach ja, anbei noch ein paar exklusive Styling-Tipps für Sie:Hier auf dem Staffelberg, 20 Grad, Wind, die Frisur hält, die Sonnenbrille sitzt …

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Als Nächstes eine gewagte Kombination mit kleinen, roten Hörnchen beim AC/DC-Konzert in Nürnberg (letztes großes gemeinsames Event Ihrer Sonnenbrille mit mir – war total g…)

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Das letzte Foto hilft Ihnen, die Brille zu beschreiben, wenn Sie sie mal irgendwo liegen lassen – grins.

Wenn Sie weitere Geschenke benötigen, wenden Sie sich an mich. Gerne gebe ich Ihnen noch andere Dinge von mir ab.

Ganz liebe Grüße und alles Gute für Sie

Wozu brauch ich auf Mauritius einen Loop?

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Draußen nieselt es trostlos vor sich hin. Trotzdem stehe ich, ausgerüstet mit wetterfester Kleidung und meinen Nordic-Walking-Stöcken,  pünktlich am Ausgang der Reha-Klinik. Der MP3-Player steckt unter der Schirmmütze – er soll ja schließlich nicht nass werden bei dem Sauwetter. Außerdem ist mir die Tage eh der Clip zum Anstecken abgebrochen. Die Kopfhörer habe ich mir bereits in die Ohren gestöpselt. Beschallung mit AC/DC ist startklar – ich sehe mich gedanklich schon am 8. Mai auf dem Zeppelinsfeld in Nürnberg bei ihrem Konzert – freu!  Wie gut, dass mir der liebe Weihnachtsmann eine Karte dafür gebracht hat.

Nach und nach trudeln die anderen Patienten ein, die heute auch um 14.00 Uhr Walking auf ihrem „Stundenplan“ stehen haben. Die Therapeutin teilt uns mit, dass wir heute wegen des Wetters eine kürzere Strecke laufen werden, also nur ca. 40 Minuten unterwegs sind. Sie erklärt uns kurz den Weg und überlässt dann jedem das Tempo – find ich gut. Ich schätze, dass ich mit meinen langen Beinen vermutlich nur 30 Minuten brauchen werde. Aber egal, ich hab jetzt richtig Lust auf frische Luft, flotte Bewegung und „Rock or Bust“. Na dann woll`n wir mal …

Es geht bergab bis zur Baumschule, ein Stück entlang der Straße, „Play Ball“, vorbei an der Tankstelle. Dann glaube ich, das Wasser schon riechen zu können. Ein schwarzer Porsche kommt von links. Ich bleibe stehen – er hat schließlich die stärkeren Argumente als ich Fußgänger. Ein nicht mehr ganz taufrischer Herr mit graumelierten Haaren sitzt hinter dem Steuer. Er gibt mir gnädig ein Handzeichen, damit ich zuerst vorbei laufen darf, bevor er sein Grundstück mit der Villa darauf verlässt. Ich nicke ihm lächelnd unter der Schirmmütze hervor zu – das ist ja mal ein netter Geldsack, denke ich mir dabei 😉 „Rock the Blues Away“

Beim Laufen gucke ich mir gerne die Häuser und Grundstücke an. In manchen Fenstern hängt immer noch die Weihnachtsdeko. In vielen Gärten sehe ich Boote. Es muss schön sein, so dicht am Wasser zu wohnen, möchte aber nicht wissen, was hier die Grundstücke kosten. Das eine Haus erinnert mich irgendwie an die Villa Kunterbunt. „Miss Adventure“  Das Grundstück ist nicht sehr groß, wirkt total überladen, vielleicht etwas verspielt, Gesamteindruck irgendwie ungepflegt. Dabei hat es so eine schöne Lage. Naja, wenn die Leute es so mögen. Das Haus daneben ist noch nicht ganz fertig. Es ist das Gegenteil von seinem Nachbarhaus, klare Formen, große bodentiefe Fenster. Die ganze Vorderseite ist verglast. Es wirkt großzügig, offen und strukturiert – ich kann mir gut vorstellen, wie ich es mir einrichten würde, wenn es mein Haus wäre …           „Dogs of War“

Ich laufe nun direkt auf der Promenade am Ufer entlang. Der Wind kommt mir entgegen und treibt mir den Nieselregen ins Gesicht. Ich empfinde es als angenehm, denn ich bin erhitzt vom zügigen Laufen. Da ist ja schon der Campingplatz. Die Wohnwagen und Boote der Dauercamper stehen einsam da, es ist keine Menschenseele zu sehen. Erst am Wochenende zieht hier wieder Leben ein. „Got Some Rock & Roll Thunder“

Weiter vorne sehe ich den Yachthafen und die Segelschule. Ich erinnere mich an einen Segelausflug auf dem Scharmützelsee, J1 war damals vielleicht drei oder 4 Jahre alt. Ich glaube, unser Urlaubsort hieß Wendisch-Rietz und es war sehr schön. Wir wohnten in Bungalows direkt am See und hatten herrliches Wetter. „Hard Times“ – lach, nein, es waren schöne Zeiten 😉

Die Wettertafel zeigt eine Lufttemperatur von 3,7 Grad Celsius und 100 % Luftfeuchtigkeit an. Mir kommt es milder vor. Wahrscheinlich weil ich mich recht flott bewege. Neben dem Weg oder dort, wo am Wochenende nicht geräumt wurde, liegen noch armselige Schneereste. Der Winter ist in diesem Jahr eher faul. Frau Holle scheint entweder in den Winterschlaf gefallen zu sein oder sie kann an die Goldmarie den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn nicht zahlen. Hm, was für ein Dilemma! „Baptism by Fire“

Wo sind die anderen eigentlich? Zwei sind vor mir, der Rest unserer Gruppe irgendwo hinter mir, ich kann sie nicht sehen. Die letzten Meter am Wasser – dann führt mich der Weg bergan Richtung Straße. „Rock the House“

Das letzte Stück ist anstrengend, ich gehe etwas langsamer, damit mein Puls im grünen Bereich bleibt. Bei „Sweet Candy“ lege ich die paar Meter bis zur Klinik zurück und höre die letzten Takte von „Emission Control“, als meine Zimmertür ins Schloss fällt. Super! Das ganze Album bis zum letzten Ton gehört – das hat doch was!

Boah, meine Klamotten sind feucht und ich bin k.o. Die Erkältung von letzter Woche steckt doch noch ein bisschen in mir. Ich ziehe Jacke, Mütze und Schuhe aus, trinke ein Glas Wasser und sinke erschöpft auf mein Bett, nur kurz, dann will ich duschen und zu diesem Vortrag gehen, der auf meinem Stundenplan steht, nur ganz kurz ausruhen … zwei Minuten oder so …

… Ich liege entspannt da. Es ist wunderbar warm. Die Sonne scheint. Leise Musik und Vogelgezwitscher umgeben mich. Die Palmen vor der Terrasse wiegen sich im leichten Wind, der vom Meer herüber weht. Aus unserer Villa kommt Boy mit einem Tablett in der Hand. Ah, mein Drink! Ich räkle mich lasziv auf meiner Liege und schiebe die Sonnenbrille nach oben. Was für einen geilen Knackarsch er doch hat, denk ich mir und verfolge jede seiner Bewegungen. Er scheint meine Gedanken lesen zu können und lächelt süffisant, während er mir den Drink serviert. Ich weiß, dass er auf afrikanische Schönheiten wie mich steht. Er weiß, dass ich voll auf ihn abfahre, seine helle Haut, die blonden, schulterlangen Haare, sein markantes Kinn … Boy stammt aus Deutschland, er lebt und arbeitet nun schon seit 15 Jahren hier bei uns auf Mauritius. Da sich mein vielbeschäftigter Ehemann heute wieder den ganzen Tag und die halbe Nacht im Club sowie auf unserer Yacht aufhalten wird und „Geschäfte“ erledigen muss, wird ihn Boy, der eigentlich Andreas heißt, wie jeden Tag hier vertreten und all seine Pflichten übernehmen … ALLE! Hach, was für ein herrliches Leben! Ich brauche nur nach ihm zu läuten …

Oh, Mist, Telefon klingelt. Ausgerechnet jetzt, wo es spannend wird – menno! „Kommst du dann mit ins Dorf? Wir wollten nochmal in den Laden mit der Wolle.“ schallt es durch die Muschel. Wolle? Was war da doch gleich? Wir wollten uns einen Loop stricken. Ähm, ach ja stimmt. Aber ich hab heut echt keine Lust drauf, nochmal raus zu gehen, einmal Regen langt mir am Tag. Also sage ich ab. Muss eh duschen und zu dem Vortrag.

Außerdem – wozu brauche ich auf Mauritius einen Loop??? 😉