Von FDGB-Urlauben und warum ich keinen Dutt mehr trage

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Irgendwie hatten es meine Eltern 1969 geschafft, einen der begehrten FDGB-Urlaubsplätze zu ergattern. Und das noch dazu im Sommer! Es war unsere einzige gemeinsame Urlaubsreise und vielleicht kann ich mich gerade aus diesem Grund noch an einige kleine Begebenheiten erinnern.

FDGB = Freier Deutscher Gewerkschaftsbund – ich glaube, es waren so gut wie alle Werktätigen mehr oder weniger freiwillig darin organisiert. Mich hat jedenfalls keiner gefragt, ob ich beitreten will oder nicht. Ich bekam mein rotes Mitgliedsbuch in die Hand gedrückt, war von da an Mitglied der „Gewerkschaft Unterricht und Erziehung“  und durfte nun jeden Monat Beitragsmarken bzw. Soli-Marken kaufen, die immer schön brav einzukleben waren.

Als Belohnung für die Mitgliedschaft bekam ich bei einer Erkrankung, die länger als 10 Tage dauerte, was bei mir allerdings äußerst selten vor kam (ich kann mich nur an einmal erinnern), eine Dose Pfirsiche oder Ananas aus dem Fress-Ex (Delikatessen – Laden) überreicht. Ich glaube, so eine Dose hat um die 12 Mark gekostet, also DDR-Mark, und ich schaffte es, sie mit einem Ritt zu verdrücken, ohne mit der Wimper zu zucken – hmmm, war das lecker! Und so selten! Konnte ich mir sonst ja nicht leisten.

Weiterhin bestand die Möglichkeit, über die Gewerkschaft einen preiswerten Urlaubsplatz zu bekommen einschließlich Fahrpreisermäßigung für öffentliche Verkehrsmittel. Aber es gehörte ein bisschen Glück dazu, denn die Urlaubsplätze waren begehrt und schnell vergriffen.

So kam es also, dass wir vier – Mutti, Papa, meine kleine Schwester und ich – in den Urlaub nach Lychen fuhren. Wir hatten kein Auto, also fuhren wir mit der Deutschen Reichsbahn von Hildburghausen über Meiningen nach Berlin und von dort weiter nach Lychen. Das war eine kleine Weltreise für uns, ging es doch immerhin fast durch die ganze Republik!

Unser Feriendomizil war, soweit ich mich erinnere, eine alte Villa. Unser kleines Zimmer war unter dem Dach, mit schrägen Wänden. Vor dem Haus standen ein paar Tische und Stühle, da saßen wir manchmal  und bekamen Most (Fruchtsaft) aus Weingläsern zu trinken. Der Most war lecker. Die Gläser haben mich fasziniert. Sie kamen mir hauchdünn im Vergleich zu unseren rustikalen Gläsern zuhause vor. Einmal habe ich tatsächlich versehentlich ein Stück des Glases zerbissen und hatte ein paar kleine Splitter im Mund. Ich hab sie ausgespuckt, das Glas umgedreht und weiter getrunken. Dann hatte ich solche Angst, dass meine Eltern deshalb Ärger bekommen und das Glas bezahlen müssen oder dass wir deshalb wieder heimfahren müssen. Ich hielt das Glas für unheimlich wertvoll. Ich glaube, es hat keiner vom Personal bemerkt, aber es hat mich ein paar Tage lang ziemlich belastet, weil ich es verheimlicht hatte.

Wir waren oft am See zum Baden. Mutti hatte sich extra einen Bikini gekauft, den meine Uroma später auf den Fotos als äußerst unanständig bezeichnet hat. Ich hatte einen roten Badeanzug bekommen, auf den ich mächtig stolz war. Allerding war er vermutlich aus Baumwolle, denn wenn er nass war, hing er mir fast bis in den Kniekehlen. Aber das hat mich mit sechs Jahren noch nicht wirklich gestört. Meine Schwester hatte auch einen winzig kleinen Badeanzug, sie war ja gerade mal drei Jahre alt. Aber sie zog es vor, lieber „ohne“ baden zu gehen. Immer, wenn keiner guckte, hatte sie ihn ausgezogen und irgendwo hin geschmissen.

Am  Badesee gab es eine längliche Holzbaracke, in der man sich umziehen konnte – eine vollkommen neue Erfahrung für mich: extra eine Häuschen aufzustellen für solche Zwecke – das fand ich erstaunlich, zumal wir in dieser Zeit zuhause noch ein Plumpsklo neben dem Misthaufen hatten und dazu aus den Hinterausgang unseres Hauses hinaus, einen überdachten, mit Sandsteinen ausgelegten Gang entlang gehen mussten, um an den Holzverschlag mit dem gewissen Örtchen zu kommen. Also fand ich eine Baracke extra zum Umkleiden ausgesprochen luxuriös.

Einmal haben wir einen Ausflug mit der „Weißen Flotte“ nach Feldberg gemacht. Dort bekamen wir ein Eis, das war nichts Alltägliches für uns und wir haben uns sehr gefreut. Meine Schwester kam mit der Waffel, die die Form einer halben Muschel hatte, gar nicht klar, sie hatte ja noch so kleine Händchen und das in der Sommerhitze schnell tauende Eis rutschte auf die Erde. Es gab Tränen und so teilten wir uns mein Eis und alles war wieder gut.

Ich kann mich daran erinnern, dass sich meine Mutter an einem Abend für das kreative Gestalten angemeldet hatte. Am nächsten Tag zeigte sie uns eine mit dicker Wolle umwickelte Flasche, die nun eine Vase sein sollte. Ich fand sie hässlich, denn Mutti hatte graue Wolle genommen. Vielleicht gab es auch keine andere Farbe, ich weiß es nicht. Außerdem hielt der Leim nicht, so dass der Faden sich am Flaschenhals immer wieder löste. Die Flaschenvase stand dann noch ewig bei uns daheim rum. Sie ging auch nicht kaputt, wenn sie herunter fiel, weil die dicke Wolle das Zerbrechen verhinderte.

Unsere Mutter hat meine Schwester und mich immer schick angezogen, meistens im Partnerlook … ähm, Schwesternlook ist da wohl das bessere Wort. Wenn ich die alten Fotos angucke haben wir ganz oft die gleichen Sachen an. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich es mit meinen beiden Sprösslingen genauso gemacht habe – lach. Kein Wunder, diese frühkindliche Erfahrung scheint mich wohl sehr geprägt zu haben. Außerdem hat es einen großen Vorteil: geht ein Kind zum Beispiel im Kaufhaus verloren, kann man anhand von Kind Nr. 2 leicht eine exakte Personenbeschreibung abgeben, ohne lang nachdenken zu müssen. „Gesucht wir die kleine Birgit. Sie ist drei Jahre alt und wir haben sie versehentlich in der Spielzeugabteilung vergessen. Birgit trägt ein ärmelloses Sommerkleidchen mit rosa-flieder-weißen Querstreifen, weiße Söckchen, rote Schuhe mit Riemchen und hat einen hellblauen, 15 cm großen Teddybär bei sich. Ihre langen Haare sind aus der Stirn gekämmt und zu einem Dutt aufgesteckt …

Dutt! Das war damals die große Mode. Allerdings endete dieser Modetrend in diesem Urlaub für mich abrupt. Nicht, dass ich bis dato ungerne einen Dutt gehabt hätte, im Gegenteil. Die langen Haare waren manchmal nervig für mich, vor allem, weil es beim Kämmen oft ziepte. Mit einem Dutt allerdings waren die Haare wunderbar gebändigt und ich fühlte mich gleich ein bisschen größer.

Eines Tages in diesem Urlaub hatte uns die Mutter wieder mal unsere langen Haare zu einem Dutt frisiert. Wir durften schon runter gehen und sollten unten im Garten noch ein bisschen spielen, bis die Eltern nachkämen und unser Ausflug losging. Vor dem Haus warteten schon die beiden Jungs, die ebenfalls hier mit ihren Eltern Urlaub machten. Sie waren etwas älter als wir und manchmal unternahmen unsere beiden Familien gemeinsam etwas. Da keine Erwachsenen in der Nähe waren, amüsierten sie sich über unsere Frisuren. Meine Schwester war noch zu klein, um es zu verstehen, aber mir ging das ganz schön ans Gemüt. Ich musste mich sehr zusammen reißen und meine Tränen unterdrücken. Einer der beiden stellte dann fest, nachdem er sich meinen Dutt von hinten oben (er war ja größer als ich) genau betrachtet hatte, dass so ein Dutt aussieht wie das Arschloch einer Katze. Das posaunte er laut lachend heraus und sein Bruder fiel auch noch mit ein. Die beiden haben sich gar nicht wieder eingekriegt und sich köstlich amüsiert auf meine Kosten. Ich war todunglücklich und nahm mir vor, meine Mutti zu überreden, dass sie uns nie, nie wieder so eine Frisur auf den Kopf machte.

Ich kann mich nicht erinnern, ob ich die beiden verpetzt habe. Wahrscheinlich nicht, denn dann hätte ich dieses schlimme Wort mit „A“ in den Mund nehmen müssen und solche Wörter durfte ich ja nicht sagen.

Nach diesem Urlaub hatten unsere Familien noch eine Zeit lang Kontakt, der sich dann aber irgendwann verlor. Inzwischen sind fast 46 Jahre vergangen. Vor einer Woche habe ich durch Zufall einen der „Übeltäter“ von damals wieder entdeckt und ihm die Geschichte erzählt. Er konnte sich nicht erinnern. Klar, er war ja auch nicht betroffen. Aber Frauen vergessen nie – zumindest nicht sowas – lach. Der „Fall“ ist natürlich längst verjährt. Jetzt kann ich darüber herzlich lachen. Ich habe mit meinen Eltern die wenigen, alten Schwarz-Weiß-Fotos von damals raus gesucht und wir haben uns erinnert – das war schön.

Bevor die Wende kam, nutzte ich noch zwei Mal die Gelegenheit, in den FDGB-Urlaub zu fahren. Einmal ging es nach Oberhof, also fast um die Ecke. Das war im Februar 1986, ich war schwanger und mein Mantel ging über den Bauch nicht mehr zu. Ich kann mich an eine Wanderung an die Schanze erinnern. Auf dem Rückweg hat es arg geschneit und ich sah mit meinem dicken Bauch tatsächlich wie ein wandelnder Schneemann aus.

Die zweite Reise ging an die Ostsee, nach Bansin. Das war im Sommer 1990. Diesmal hatten wir eine Ferienwohnung, nahmen aber die Mahlzeiten im  FDGB-Heim ein.

Weitere Erinnerungen habe ich nicht. Den FDGB gab es dann 1990 nicht mehr. Für meine Urlaube eröffneten sich völlig neue Perspektiven, dich ich sofort ausnutzte – und das, ohne Marken in ein Büchlein einkleben zu müssen 😉

„Salut, Roter Oktober!“ oder: Wie man preiswert nach Berlin kam

1977 durfte ich mit meiner Mannschaft „Touristischer Mehrkampf“ zum „Fest des Roten Oktober“ nach Berlin fahren. Das Fest wurde anlässlich des 60. Jahrestages der Oktoberrevolution im damaligen Russland veranstaltet. Es war selbstverständlich, dass die DDR als kleiner Bruder der großen Sowjetunion dieses Ereignis mit einer würdigen Veranstaltung feierte.

An solchen Veranstaltungen durften immer nur ausgewählte FDJ-ler teilnehmen. Die Teilnehmer bekamen dann ein Mandat für diese Veranstaltung, sozusagen eine „Fahrkarte“ nach Berlin. Die Veranstaltungen zu solchen Jahrestagen zogen sich meistens über mehrere Tage hin. Die Jugendlichen wurden in der Regel einheitlich eingekleidet, meist mit gleichen Jacken und Kopfbedeckungen. Stoffbeutel mit aufgeruckten Emblemen (oder waren es doch nur Plastikbeutel?) rundeten das Outfit ab.

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Hier ein Ausschnitt aus meinem Mandat und meine Eintrittskarte für die Eröffnungsveranstaltung.

Diesmal waren wir also die Auserwählten. Wir durften nach Berlin fahren! Das fanden wir fetzig! Natürlich bekamen auch wir einheitliche Nylonjacken und eine Art Mütze oder Hut mit einem roten Stern vorne dran. Der Hut sah echt bescheuert aus, fand ich. Sollte ich ihn irgendwann wieder finden, dann werde ich ihn fotografieren und hier abbilden. Jeder Leser kann sich dann vorstellen, dass ein 14jähriges Mädchen sowas nicht unbedingt auf dem Kopf haben muss. Ich beschloss, das Teil nur dann zu tragen, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ – sprich, wenn es strikt angeordnet wurde.

Wir bereiteten uns auf die Fahrt vor, indem wir eine Wandzeitung gestalteten. Wir sollten während unseres Aufenthaltes in Berlin an einem Erfahrungsaustausch an einer Schule teilnehmen und wollten mit der Wandzeitung über das Training, die Wettkämpfe und unsere Erfolge berichten. Immerhin waren wir jedes Jahr Kreismeister im Touristischen Mehrkampf, landeten auch bei den Bezirksmeisterschaften immer auf dem Siegertreppchen und schafften es sogar einmal bis zu den DDR-Meisterschaften. (Ich werde in einem anderen Block mal erzählen, was „Touristischer Mehrkampf“ ist.)

Zu solchen Großveranstaltungen kamen die auserwählten Jugendlichen aus der ganzen Republik nach Berlin. Sie mussten natürlich alle untergebracht werden. Meistens erfolgte die Unterbringung in Schulen. Es wurden Luftmatratzen in Klassenräume gelegt – fertig. Manche Teilnehmer wurden auch in Gastfamilien untergebracht.

Unser Quartier – mit UNSER meine ich einen Teil der Delegation aus dem Bezirk Suhl – war die 13. Oberschule in der Adalbertstraße. Mit unseren Mandaten durften wir übrigens alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, so oft wir wollten und im ganzen Raum Berlin, Ostberlin natürlich, logisch. Schnell hatten wir uns alle wichtigen Verbindungen, Umsteigebahnhöfe und die Stationen, die dazwischen lagen, eingeprägt. Die Versorgung zum Frühstück und Abendbrot erfolgte über Verpflegungsbeutel (wir sagten Fresspakete), Mittag gab es warmes Essen am jeweiligen Ort des Aufenthaltes. Es war immer reichlich und auch Obst war dabei.

Quartier        Okt 3 001

Foto links: unser Quartier. die 13.Oberschule in der Adalbertstraße und rechts ein nicht besonders gutes Foto von der Festveranstaltung im Stadion der Weltjugend. Hier sieht man unsere ausgefallenen Kopfbedeckungen 😉

Das Beste an der ganzen Sache war, wir konnten viel selbst unternehmen. Wir mussten lediglich zu den vorgeschriebenen Zeiten wieder im „Objekt“ sein bzw. uns zu den angeordneten Veranstaltungen einfinden. Außerdem sollten wir uns jeder Zeit und überall angemessen benehmen, schließlich waren wir ja auserwählte FDJ-ler. Wir nutzten diese Freiheit natürlich voll aus und erkundeten Berlin auf eigene Faust. Wir kamen zwar aus einem kleinen Dorf, noch dazu aus dem letzten Zipfel der Republik, auch guckte man uns öfter komisch an, wegen unserer fränkischen Mundart, aber wir bewegten uns wie selbstverständlich, ohne Ängste und Hemmungen in Berlin, als wären wir jede Woche dort. Ach, es war einfach schön. Die Tage vergingen viel zu schnell.

Das Ganze hat sicher einen Haufen Geld gekostet, da ließ sich die Regierung wirklich nicht lumpen. Wir fragten nicht danach, als Jugendliche interessierte uns das nicht. Wir wollten nur was erleben. Dennoch, die Einkleidung der Teilnehmer, die Reisekosten, die Unterbringung und Verpflegung, die Organisation der Massenveranstaltungen, es gab Auftritte von Rockbands und es wurde einfach ganz viel geboten – das war nicht grad ein Pappenstiel. Für die Regierung war wichtig: Es wurde präsentiert, es wurden Parolen geschwungen, der Sozialismus zeigte sich von seiner Sonnenseite, es war gute Stimmung unter den Teilnehmern und die Eröffnungsveranstaltung im „Stadion der Weltjugend“ war durchorganisiert bis ins kleinste Detail.

Keine Ahnung, was die Berliner von solchen Spektakeln hielten. Ich glaube, sie waren froh, wenn der ganze Rummel wieder vorbei war, die U- und S-Bahnen nicht mehr überfüllt waren und der Alltag wieder einkehrte. Aber auch darüber zerbrachen wir uns damals nicht den Kopf.

Die morgendlichen Appelle ließen wir über uns ergehen, dann gehörte der Tag uns. Und manchmal, wenn ich mir die alten Schwarz-Weiß-Fotos angucke und mich an die Zeit erinnere, fallen mir Textstücke aus den Liedern der Singegruppen ein:

„Und das war im Oktober, als das so war, in Petrograd, in Russland, im siebzehner Jahr …“

Dann muss ich schmunzeln und staune darüber, was einem doch im Gedächtnis so alles hängen bleibt …

Übrigens hätte ich wohl nie im Leben eine „Fahrkarte“ nach Berlin bekommen, wenn ich eine schlechte Sportlerin gewesen wäre. Immerhin war ich getauft, nahm in meiner Freizeit am Konfirmandenunterricht teil und sollte ein halbes Jahr später konfirmiert werden, außerdem hatten meine Eltern Kontakte nach dem Westen und keiner in unserer Familie war in der Partei, ähm, ich korrigiere, in der richtigen Partei! (mein Opa war ja in der CDU …) – also: ich war wirklich nicht grad der perfekte kommunistische Nachwuchskader 😉

So sah mein "Mandat" aus, mein Freifahrschein nach Berlin

Die Innenseite des Mandates

Die Innenseite des Mandates

Es gibt eine DVD: Salut, Roter Oktober – Ein Film von Rolf Schnabel zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution (1977, Farbe)

Ein Bildchen von dem Hut habe ich auch entdeckt unter:

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