Winterspaziergang

Nach der langen Arbeitswoche hätte ich eigentlich mehr als genug im Haushalt zu tun gehabt, denn unter der Woche ist viel liegen geblieben und ich wollte nicht die ganze Arbeit am Wochenende erledigen. Doch es fiel mir schwer, bei diesem herrlich-strahlenden Sonnenschein und den eisigen Temperaturen den ganzen Freitagnachmittag im Haus zu verbringen und mit „Pflichten“ zu vergeuden. Ich bin nicht so der Wintermensch, eher eine Frostbeule mit zwei Beinen, mag lieber den Sommer mit tropischen Temperaturen. Warm eingemummelt entschied ich mich trotzdem spontan für eine kleine Frischluftkur, überlegte am Hoftor kurz, ob ich links oder rechts entlang gehen sollte, entschied mich für links, machte mich auf den Weg und war nach wenigen Minuten außerhalb des Dorfes. Die klirrend kalte Luft bitzelte in meinem Gesicht wie tausend feine Nadelstiche. Beim Ausatmen wallten feuchtwarme Wölkchen aus meinem Mund und vereinigten sich mit der Winterluft. Die Geräusche aus der Umgebung, meine knirschenden Schritte im Schnee und mein leichtes Schnaufen beim Hügelaufwärtsgehen nahm ich durch meine kuschlig warmen Ohrenschützer sanft gedämpft wie durch einen Wattebausch wahr.

Die Kamera baumelte startklar über meiner Schulter und ich hielt gewohnheitsgemäß Ausschau nach interessanten Motiven, während sich meine Lunge allmählich an die zweistellige Minustemperatur angepasst hatte und tapfer tiefe Züge der schneidend kalten Luft inhalierte.

Während ich am Feuerlöschteich vorbei Richtung Wald durch den hart gefrorenen Schnee stapfte, genoss ich die freie Zeit und nahm mir vor, wieder öfter spontan einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Nicht nur wegen der frischen Luft und zum Fotografieren – einfach nur so, zum Abschalten und Natur bewundern.

Nach anderthalb Stunden kroch trotz stetiger Bewegung die Kälte allmählich an meinen jeansumhüllten Beinen hoch, die Nase und die Wangen hatten sich gerötet und die im Schnee stark reflektierende Sonne ließ schwarze Punkte vor meinen Augen tanzen. Hätte ich nur eine Sonnenbrille aufgesetzt!

Ein halbe Stunde später saß ich bei meinen Eltern am Kaffeetisch, angenehm erhitzt trotz kalter Beine, mit frischer Hautfarbe, total entspannt und ausgeglichen. Meinen Haushalt hatte ich vergessen, er würde mir nicht weglaufen. Ich hatte ein paar Fotos im Kasten und freute mich auf den Abend, wo ich sie mir auf dem Laptop anschauen und die Stimmung des Nachmittags noch einmal nachspüren würde.

Ob am Ende doch noch ein Wintermensch aus mir wird?

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trotzt der Eiseskälte

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Himmelsblick

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Eisapfel

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ohne Moos nichts los

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Fürstenweg

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keiner da zum Küssen 😉

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Es geht aufwärts

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wir zwei halten zusammen

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Straufhain und Veste Heldburg mit Deutschem Burgenmuseum

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Die Steinsburg (Kleiner Gleichberg)

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nicht spurlos

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Einblick

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frisch poliert und zart gepudert – Kiliankirche zu Bedheim mit Schwalbennestorgel

 

 

 

 

 

Urlaubsnachlese

Den ersten Schnee hat es in den Höhenlagen des Thüringer Waldes schon gegeben. Mal sehen, wie der Winter heuer wird. Die letzten beiden Jahre war nicht viel los mit weißer Pracht und so. Ich lass mich überraschen. Letztendlich müssen wir das Wetter nehmen, wie es kommt. Die Winterräder am Auto sind drauf. Ein paar andere Dinge, die ich für eventuelle Fälle unterwegs brauchen könnte, habe ich ebenfalls bereits im Auto: Wolldecke, Eiskratzer, kleiner Handbesen, Scheibenenteiserspray, Mütze, Handschuhe, Taschenwärmer für die Hände usw.

Voriges Wochenende habe ich meinen letzten Mittagsschlaf für dieses Jahr im Auto gemacht. Nach dem frühem Aufstehen und einer Wanderung am Rennsteig hat mir das richtig gut getan. Am darauffolgenden Tag räumte ich Matratze und Schlafsack ganz schweren Herzens nun doch endlich aus. Die Sachen hatte ich die ganze Zeit seit dem Urlaub noch im Auto gelassen. Das war praktisch, denn meine Mittagspausen auf Arbeit verbrachte ich den ganzen September lang fast täglich im Auto bei einem Nickerchen. Wie entspannend! Mein Plan war eigentlich, dass ich mir noch mal eine kleine Auszeit gönne und meine letzten paar Urlaubstage ganz locker per Seatcamping (huiiii – ein neues Wohort) an der Ostsee verbringe, so wie ich es im August schon mal getan hatte, auf der Insel Poel, was war die Woche herrlich … Wahrscheinlich würde ich mir da jetzt in der Nacht den Hintern abfrieren, wo ich doch so eine Frostbeule bin. Trotzdem sehne ich mich ans Meer zurück und immer wenn ich ein Autobahnhinweisschild sehe, möchte ich am liebsten losdüsen und alles für ein paar Tage hinter mir lassen.

Beim Ausräumen und Verstauen der „Autocamping“-Sachen dachte ich an ein paar kuriose Begebenheiten der letzten Wochen.

Kurz nach meinem Urlaub, Matratze, Schlafsack und Kopfkissen lagen wie erwähnt für den nächsten Kurztrip noch im Auto, wollte ich für die Kollegen auf Arbeit nachträglich etwas auf meinen Geburtstag ausgeben. Also fuhr ich nach einem langen Arbeitstag zum Supermarkt. Ich wollte schnell heim kommen und schob hastig meinen Einkaufswagen durch die Gänge. Wie gut, dass ich mir einen Einkaufszettel geschrieben hatte, da brauchte ich meinen Kopf nicht unnötig anzustrengen, denn der war sowieso voll mit vielen anderen Gedanken. An der Kasse ging es zügig und schon stand ich mit meinem vollen Einkaufswagen auf dem Rollband Richtung Parkdeck im Untergeschoss.

Untergeschoss? Ich stutzte und plötzlich fiel mir ein, dass mein Auto ja gar nicht unten stand sondern oben gleich gegenüber vom Haupteingang. Ich versuchte einer spontanen Eingebung folgend meinen Einkaufswagen rückwärts vom Rollband nach oben zu ziehen, was natürlich vollkommen aussichtslos war und sicher urkomisch ausgesehen haben muss, deshalb hörte ich damit auf, guckte mich um, ob es auch ja keiner gesehen hat, und musste plötzlich über mich selbst lachen.

Unten kam gerade ein Mann um die Ecke herum und betrat mit seinem Einkaufswagen voller Leergut das Rollband auf der anderen Seite, das nach oben führte.

Situation:

Mann sieht Frau mit vollem Einkaufswagen auf dem Rollband nach unten, sie ist ganz allein und sie lacht laut und herzhaft.

Frau sieht Mann mit Einkaufswagen voller leerer Flaschen auf dem Rollband nach oben, er ist allein, er schaut sie an, kratzt sich hinter dem Ohr und zieht die Stirn kraus. 

Ich musste noch mehr lachen, als ich sein Gesicht sah. Ich wollte mit dem Lachen aufhören, aber es ging nicht. Wenn ich angestrengt versuche, nicht zu lachen, dann muss ich erst recht lachen. Also versuchte ich nicht weiter, nicht zu lachen. Er grinste und guckte sich verunsichert um. Also fragte er mich, was denn so lustig wäre. Mir standen schon Tränen in den Augen und so brachte ich nur: „Mein Auto …“ heraus und zeigte mit dem ausgestreckten Arm nach oben während ich weiter nach unten fuhr und ununterbrochen weiter lachen musste. Er verstand sofort, was ich meinte, nickte und musste nun auch herzhaft lachen. Unten angekommen, inzwischen hatten hinter mir zwei weitere Personen mit ihren voll beladenen Einkaufswägen das Band betreten, beschrieb ich einen eleganten Bogen, wischte mir dabei schnell die Lachtränen aus dem Gesicht, und ließ mich und meinen vollen Einkaufswagen von dem Band auf der anderen Seite wieder nach oben transportieren. Ich verkniff mir diesmal unter allergrößten Mühen das Lachen, versuchte eine gleichgültige Mine aufzusetzen (ja, ganz so gleichgültig war sie doch nicht,  die Mundwinkel haben schon tüchtig gezuckt) und schaute die beiden Leute auf dem Band nach unten an, als ob es ganz normal wäre, mit den Einkäufen zum Zeitvertreib hoch und runter zu fahren.

Oben stand der Mann und wartete darauf, mir redselig mitteilen zu können, dass ihm das auch schon passiert wäre. In großen Parkhäusern schreibe er sich sogar die Nummern des Parkplatzes auf. Na also, gibt es noch mehr so zerstreute Menschen. Ich zollte ihm Anerkennung für die gute Idee mit dem Aufschreiben, wir lachten nochmal zusammen und während er zum Leergutautomaten ging, nahm ich diesmal den richtigen Ausgang, schmunzelte noch ein bisschen in mich rein und wollte anfangen, die Einkäufe im Auto zu verstauen (hatte ich irgendwann schon mal erwähnt, dass ich Einkaufen hasse?)

Wie ein riesiges Maul sperrte die fünfte Tür meines Autos ihren Rachen auf und gab den Blick frei auf eine Matratze, Kopfkissen, Schlafsack, Wasserkanister, Klopapierrolle, Taschenlampe, Insektenspray, Regenschirm und eine provisorische „Wäscheleine“ aus Paketschnur mit vier blauen Klammern daran. Ich hatte die Schnur zwischen den Haltegriffen an der Decke neben den Rücksitzen gespannt – clever, ne?

Zu dumm nur, dass ich die Klappboxen für die Einkäufe nicht dabei hatte. So ein Mist aber auch! Mann, eh, jetzt musste ich den ganzen Einkauf so ins Auto legen, das macht mir wieder mehr Arbeit daheim. Fast wäre meine gute Stimmung von eben wieder verflogen gewesen. Als ich gerade dabei war, etwas unmotiviert Frischkäse, Baguettes (natürlich in der Tüte), schwarzen Tee, Bohnenkaffee, Pizzagewürz, Mozzarella … kurzum meine Einkäufe einzeln, immer schön nacheinander wie Wurfscheiben lässig aus dem Handgelenk heraus ins Innere des durch Matratze, Schlafsack und Kissen gepolsterten Autos zu befördern, als plötzlich der Mann vom Rollband noch mal lachend auf mich zugelaufen kam und schon aus geraumer Entfernung anfing zu berichten, dass er sogar schon mehrmals den Wertbon für das Leergut, dabei schwenkte er diesen demonstrativ in der Hand, in dem Automat hatte liegen … Doch in diesem Augenblick verschlug es ihm abrupt die Sprache, denn er war bei meinem Auto angekommen und starrte in das Maul des Kofferraums hinein. Er sah nicht das darin, was er scheinbar erwartet hatte. Auf meinem Schlafsack und dem Kopfkissen lagen inzwischen neben den oben genannten Sachen noch Haarwäsche, Rasierklingen, Servietten, Katzenfutter, zwei Stumpenkerzen, ein halbes Brot, eine Flasche Riesling, Gummihandschuhe u.a. Er guckte mich ganz sonderbar mit etwas zur Seite geneigtem Kopf an. Irgendwie sah er leicht verstört aus. Ich guckte zurück, sehr entspannt und lächelnd, hob kurz die Schultern und erklärte ziemlich glaubhaft, während ich locker-flockig noch eine Packung Vanillezucker und Kaugummis ins Auto schleuderte: „Naja, auf Besuch bin ich heut eigentlich nicht eingestellt, sonst hätte ich vorher etwas aufgeräumt. Gefällt`s Ihnen nicht bei mir? Also, ja, im Winter wird es manchmal etwas frisch, aber die paar Monate gehen auch schnell rum, ne? Und durch den Klimawandel wird das ja nicht mehr ganz so kalt …“  Dabei nickte ich überzeugt. Er brachte noch ein „Ja, ach so, ja klar. Ich muss dann auch wieder …“ zustande und war dann ziemlich schnell im Inneren des Supermarktes verschwunden. Meine Laune hatte sich schlagartig verbessert.

Vergnügt fuhr ich an Hibu Ost vorbei Richtung Innenstadt. Nur einen ganz winzigen Augenblick lang zögerte ich an der Kreuzung mit dem Wegweiser Richtung Autobahn, seufzte kurz und fuhr nicht dorthin, wo ich gerne hin gefahren wäre, obwohl ich meinte, für einen kurzen Moment eine Möwe kreischen gehört zu haben.

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Ich fuhr einfach heim.

Muschel im Schnee

Die Sonnenstrahlen bringen die Reste des Schnee´s am Wegrand zum Glitzern. In den Büscheln vertrockneter Grashalme, die aus dem Schnee heraus ragen und den vergangenen Sommer noch ahnen lassen, hat das milde Wetter von gestern den Schnee schon weg getaut. Nach dem Frost der kalten Vollmondnacht hat sich nun um die Grasbüschel herum, die wie verdorrte Inseln in der Glitzerpracht liegen,  eine Schneekruste gebildet.

Langsam gehe ich, wie so oft in den letzten Tagen, den Weg am Ufer entlang und hänge meinen Gedanken nach. Ich atme tief die frische Luft ein und spüre die angenehme Wärme der Sonnenstrahlen auf den Stellen meiner Haut, die ich nicht warm eingepackt habe, um sie vor den trotzdem noch winterlichen Temperaturen zu schützen.  Es ist noch früh am Morgen. Beim Frühstück habe ich den Sonnenaufgang gesehen und mich spontan entschlossen, mit der Kamera hinunter ans Wasser zu gehen. Ich habe Zeit. Eine Stunde, vielleicht anderthalb, dann muss ich mich auf den Rückweg machen. Könnte nur jeder Tag so entspannt beginnen!

Da sehe ich die Muschel. Sie steckt im Schnee, aufgeklappt, zwei Flügeln gleich, fast herzförmig, die Schale so dünn, dass das Sonnenlicht hindurch schimmert – irgendwie magisch. Sie wirkt zerbrechlich und fehl am Platz. Jeder könnte doch versehentlich auf sie treten und sie zerstören. Wie schade das wäre! Natürlich hat sie keinerlei Nutzen mehr, aber sie sieht so wunderschön aus. Ich gehe in die Hocke und betrachte sie von allen Seiten. Dann fotografiere ich sie. Ein Mann im Rollstuhl kommt vorbei und fragt mich, was es denn da so Interessantes zu sehen gibt. Ich antworte: „Ach, nur eine Muschel.“ Er hat wohl mit etwas anderem gerechnet und fährt weiter. Ich bin froh darüber, so kann ich alleine sein und die Muschel noch eine Weile bewundern.

Einen Moment lang denke ich daran, die Muschel mit in mein Zimmer in der Klinik und später mit nachhause zu nehmen, um diesen Augenblick des Findens, die Minuten des Bestaunens für mich zu bewahren. Später, wenn sie einen Platz bei mir daheim gefunden hat, würde sie mich erinnern an die Zeit hier, die Spaziergänge, die Menschen, denen ich begegnet bin. Ich könnte sie in die Hand nehmen und die Ruhe nachempfinden, die mir bei meinen Spaziergängen so gut getan hat. Doch ich lasse die Muschel liegen. Sie gehört mir nicht. Ich würde anderen Menschen die Chance nehmen, sie zu entdecken und sich daran zu erfreuen. Außerdem sieht sie so wunderschön aus, wie sie da im Schnee liegt und von der Sonne beschienen wird …

Am Abend ergab es sich, dass ich jemandem von dem Muschelfund erzählen konnte. Es war mir ein Bedürfnis und die Worte kamen einfach so aus meinem Inneren heraus gesprudelt. So unbedeutend und belanglos meine kleine Entdeckung auch erscheinen mag, so gerne teilte ich meine Empfindungen und Gedanken darüber mit einem mir sympathischen Menschen, von dem ich annahm, ebenfalls Sinn für die Schönheiten der Natur zu haben, was sich im Gespräch bestätigte. Ich versuchte Größe, Farbe, die Strukturierung der Muschelschale und wie das Sonnenlicht hindurch schimmerte bildhaft zu beschreiben, dabei sah ich die Muschel im Schnee noch einmal vor mir – wie die Flügel eines Engels …

Am nächsten Tag war die Muschel weg.

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