Verführungen

… sie lauern überall. Ich brauche nur die Augen zu schließen, dann stelle ich sie mir lebhaft vor. Ganz klar und deutlich sehe ich sie verlockend vor mir liegen, zum Greifen nah, unwiderstehlich, zum Reinbeißen, meinem lüsternen Gaumen gnadenlos ausgeliefert – hach … seufz!

Aber ich bin stark! Ich hab mich voll unter Kontrolle, absolut, total – wenn ich will. Will ich? Ja, ich will! („Grrrrrrrrrrrr!“ grummelt der Teufel in mir, während mir das Engelchen anerkennend auf die Schulter klopft).

Also gehe ich entschlossen an diesem Stand im Eingangsbereich des Supermarktes vorbei, wo diese freundlich lächelnde Frau steht und frisch gebackene Waffeln anbietet, die sowas von lecker duften, dass mir das Wasser im Munde zusammen läuft. Nein, ich schaue gar nicht hin. Keines Blickes würdige ich sie! Wer so hinterlistig und gemein ist und arglose Kundinnen solche Versuchungen zumutet, den gucke ich nicht mit dem Hintern an. So – das hat sie nun davon! Haha, so schnell, wie ich an ihr vorbei bin, so schnell kann sie nicht mal Schokosahne sagen.

Ich atme tief durch und konzentriere mich auf in Plastikbechern verpackte, bereits in mundgerechte Stücke geschnittene, frische Ananas, die mir als nächstes ins Auge fallen. Och nö, muss nicht sein. Das Obst in der Klinik reicht mir aus. Jeden Morgen ein Apfel oder  ´ne Birne, ab und zu Orangen, es gab auch mal Bananen – passt schon, besonders die leckeren Salate mittags und abends, da könnt ich mich manchmal reinlegen.

Doch da nähere ich mich schon der nächsten Versuchung. Mein Blick fällt auf die Tüten mit den Schweinsöhrchen, hmmm! Ohne, dass ich es will, greife ich danach. Mein Teufelchen hält schon erwartend die Luft an. So eine Tüte mit leckerem, leider völlig ungesundem, weil viel zu fettem Blätterteiggebäck verdrücke ich locker mal eben zwischendurch, zwischen Tagesschau und 21.00 Uhr oder so. Egal, auf jeden Fall scheint da irgendeine Zutat drin zu sein, die süchtig machen muss. Während ich die Tüte und besonders deren Inhalt mit schmachtendem Blick betrachte, mein Teufelchen aufgeregt in die Hände klatscht und mir schon wieder das Wasser im Munde zusammen läuft, höre ich ein dünnes Stimmchen im Hintergrund rufen: „Nein! Tu es nicht! Denk an deine Triclyceride!“ Ach ja, mein Engelchen spielt wieder Mal Gewissen! Gehorsam stelle ich die Tüte zurück – brave Heike!

Ich schaffe es, ganz locker und entspannt an all den anderen Verlockungen in dem gefühlt mindestens 100 Meter langen Regal voller Naschereien vorbei zu schlendern. Wow, bin ich cool! Also: Bauch rein, Brust raus, Kopf hoch: ja, ich bin schlank, schön und sexy – wozu brauche ich Süßigkeiten? Selbstsicher und jeglicher Versuchung erhaben schiebe ich lässig meinen Einkaufswagen in einen Seitengang, finde in der Bio-Abteilung Dinkelbrezeln, beschließe kurz entschlossen, diese als „Ersatz“ mal auszuprobieren (immerhin sind sie nicht süß), packe noch Zahnpasta und Deo in den Korb und stelle mich in der Schlange an der Kasse an.

Es schnuppert verdammt gut nach Waffeln, während ich auf das Abkassieren warte. Menno! Das ist gemein. Schnell bezahle ich und eile an der Waffeldame vorbei nach draußen. Ich frage mich, ob sie abends daheim auch noch nach Waffeln riecht … Bestimmt! Vielleicht sagt ihr Mann dann zu ihr: „Liebling, darf ich ein wenig an deiner Waffel knabbern?“ oder „Hey, mein heißes Eisen, wie wär`s heut` mit einer Extraportion Sahne?“  😉

Mir geht der Waffelgeruch jedenfalls nicht aus der Nase. Den halben Rückweg lang denke ich an nichts anderes. Trotzdem bin ich wahnsinnig stolz auf mich. Das Teufelchen schmollt mit mir, das Engelchen frohlockt und streichelt voller Mitgefühl die Hörner des Teufelchens.

Als ich die Lobby der Klinik betrete– ich hatte gerade darüber nachgedacht, ob ich gleich eine Dinkelbrezel esse oder bis nach dem Abendessen warte – trifft es mich wie einen Schlag. Die ganze Eingangshalle ist waffelduftgeschwängert –Neeeeeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiin!!!!!!!!! Das war`s dann also. Alle guten Vorsätze sind dahin. Scheibenkleister!

Okay, gut. Ich bin auch nur ein Mensch. Ein Genussmensch. Überhaupt, ich finde, man lebt ja nur einmal, oder? Ich verbündete mich mit dem Teufelchen. Auf der Stelle tat ich das. Keine Chance für Engelchen und sein Gewissen. Pfeif auf die Triclyceride! Natürlich hätte ich ohne mit der Wimper zu zucken in mein Zimmer gehen und Dinkelbrezel essen können. Es wäre mir ein Leichtes gewesen. Aber das wollte ich gerade in diesem Moment nicht. Wenn ich in dieser Klinik etwas gelernt habe, dann unter anderem auch das, mir etwas Gutes zu tun, wann immer mir danach zumute ist. Das tat ich jetzt.

Und weil man bekanntlicherweise auf einem Bein schlecht stehen kann, nahm ich für das andere Bein auch gleich noch was mit. So gönnte ich dem rechten Bein eine frisch gebackene Waffel mit heißen Kirschen und Sahne sowie einen schwarzen Tee mit Kandiszucker und Sahne, das linke Bein bekam ein Stück Mandarinenkuchen und eine große Tasse Kakao ohne Sahne, man muss es ja schließlich nicht gleich übertreiben. Das fand ich sehr fair von mir, beide Beine gleichermaßen gerecht bedacht zu haben. Außerdem sind meine Beine sooo lang, da passt schon was rein, stimmt´s, mein allerliebstes Teufelchen?

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Statistik

Wenn ich heute Nacht nicht von Zahlen träume, dann kann ich froh sein. Bei meinem kurzen Mittagsschläfchen ging mir jedenfalls allerlei Zahlenwirrwarr durch den Kopf.

Heute war der Abgabetermin für die Statistik für das Landesamt. Wer jetzt denkt, dass ich bis auf den letzten Drücker damit gewartet habe, der täuscht sich. In den vergangenen Jahren bearbeitete ich die Fragebögen schriftlich, ab diesem Jahr geht das alles nur noch online. Also habe ich mir das schon am Montag vergangene Woche im Internet angeguckt und gleich wieder die Seite zu gemacht. Aber immerhin – ich hatte mal geguckt, was ja ein Anfang ist.

Diese Woche Montag habe ich wieder geguckt und gleich ein bisschen ausprobiert. Ich gab schon mal unsere Telefonnummer ein und die E-Mail-Adresse sowie ein paar andere Daten und speicherte es ab. Dann guckte ich mir alle anderen Seiten an und rümpfelte meine Nase. Nase rümpfeln = Nase hochziehen und zwischen den Augen zieharmonikaartig in Falten legen. Ziehharmonika = sowas wie Schifferklavier, Schifferklavier = sowas wie Akkordeon – alles klaro?

Also ich rümpfelte meine Nase. Diese Mimik bedeutet bei mir im Normalfall Skepsis, in diesem speziellen Falle allerdings mehr Unlust oder im Jargon meiner Söhne: null Bock. Dem gegenüber stand die „Auskunftspflicht nach § 102 Absatz 1 SGB VIII in Verbindung mit § 15 BStatG“ – grrrrrrrrrrrrrrrrrr! Ich analysierte meine Lage und stellte ernüchtert fest: Ich hatte null Bock und null Wahl.

Für solche Situationen habe ich immer eine Tafel Vollmilchschokolade im Tresor. Die habe ich mit einem Ritt nieder gemacht – haha, die hatte keine Chance gegen mich und in nullkommanix war kein Krümchen mehr übrig, meine Stimmung merklich besser und ich suchte mir mit neuem Elan sämtliche Unterlagen zusammen und legte sie parat. Der Anblick war erschütternd! Ich räumte die Unterlagen sofort wieder weg, denn mein Schreibtisch und auch die beiden anderen Ablagen im Büro reichten nicht aus. Kein Wunder bei 139 angemeldeten Kindern und 21 Mitarbeitern in unserer Kindertagesstätte.

Ich brauchte einen Plan. Die Olsenbande hatte auch immer einen Plan. Ich fing also mit dem Personal an. Das war nur ein Ordner. Überschaubar. Nachdem ich mich reingefuchst hatte, ging es ganz gut vorwärts, bis auf es auf einmal *pling* machte und alles weg war. Äh? Was war das denn? Ich guckte auf meinen leeren Bildschirm, das Internet hatte sich verabschiedet, meine ganzen Daten sicher auch, was war da los? Ich drückte ein paar Tasten – nichts – ich drückte auf alle möglichen Tasten, gleichzeitig und ziemlich energisch – wieder nichts – Ich rümpfelte wieder meine Nase, was diesmal „so ein Scheibenkleister“ bedeutete, und rief bei unserer IT-Abteilung an.

„Ja, das kann passieren mit Ihrem neuen VPN-Router, das Problem hatten wir in den anderen Einrichtungen ebenfalls. Na dann fangen Sie eben noch mal von vorne an mit Ihrer Statistik! Was? Sie haben keine Schokolade mehr? Wozu brauchen Sie da Schokolade? Sie ziehen jetzt einfach mal den schwarzen Stecker aus dem weinroten Kästchen. Ja, genau, aus dem VPN-Router. Und nun warten Sie mal ein paar Minuten. Dann stecken Sie den Stecker wieder rein und dann geht das Internet wieder. Ja, das machen Sie jetzt immer so, wenn das Internet sich mal verabschiedet hat. Sicher kann das gelegentlich passieren. Die Daten sind dann weg, klar. Es sei denn Sie haben vorher gespeichert. Danke, Ihnen auch einen schönen Tag! Wiederhören!“

„Naja,“ dachte ich, „da fange ich halt noch mal von vorne an. Solange ich das bezahlt kriege …“

Ich habe schließlich die Statistik in Ruhe, zwar in vielen Stunden Arbeit aber ohne das kleinste Stück Schokolade – gefällig selbst Schulter klopf (hihi) – zuhause gemacht. Meine Fritzbox hat mich nicht im Stich gelassen und nun habe ich wieder ein Jahr lang Ruhe bis zum nächsten Bescheid zur Auskunftserteilung.

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