Es war kurz vor dem Abendessen und ich ahnte noch nicht, was gleich über mir herein brechen und mir gründlich den Appetit verderben würde, als es laut an der Küchentür klopfte und im nächsten Moment die Mutter eines Schulkameraden herein stürmte.
Sie sah ziemlich erregt aus, fuchtelte mit einem Zettel herum, den sie in der Büchertasche ihres Sohnes gefunden hatte und teilte meiner Mutter und mir mit, dass sie fix und fertig wäre. Aber das war eigentlich unnötig, denn wir sahen es ihr ja an. Endlich kam sie auf den Punkt. Ich sollte mal vorlesen, was da auf dem Zettel steht und es erklären. Mit diesen Worten hielt sie mir den Zettel unter die Nase.
Oh, oh, dachte ich, da kann nichts Gutes drauf stehen. Ich nahm ihn und sah, was darauf stand: Ficken ist geil. Mehr nicht. Diese drei Wörter. Ach du dickes Ei! Ich bekam nicht nur rote Ohren, sondern bestimmt einen knallroten Kopf, denn es fühlte sich an, als ob das ganze Blut in meinen Kopf schoss. Meine Gedanken überschlugen sich. Warum kommt sie damit ausgerechnet zu mir? Ich hatte den Zettel doch schließlich nicht geschrieben. Und wieso sollte ausgerechnet ich ihr das erklären? Sollte sie doch ihren Sohn fragen. Na der kann sich morgen was anhören … Mich in so eine Situation zu bringen! Und überhaupt, wieso wühlt die in dem seiner Büchertasche rum? Und wenn man schon solche pikanten Zettel bekommt, dann liest man sie und vernichtet sie. Wir hatten in jedem Klassenraum einen Ofen, notfalls wurden die Zettel einfach runter geschluckt. Das alles schoss mir in Sekunden durch den Kopf, während ich immer noch angestrengt auf diesen Zettel stierte.
Meine Mutter und die andere guckten mich mit hochgezogenen Augenbrauen, sehr streng und erwartungsvoll an. Mein Gott, wie peinlich! Nun musste ich taktisch vorgehen, damit ich nicht selbst eine Strafe riskierte, Ausgangsverbot oder so. Nur nichts Falsches sagen. Aber was sollte ich denn dazu sagen? Ich hatte ja überhaupt keine wirkliche Ahnung, was es bedeutete. Woher auch, ich war grad mal in der 6. Klasse und ein unschuldiges Mauerblümchen.
Zu Weihnachten in der 5. Klasse hatte ich eine Broschüre geschenkt bekommen. „Bevor ein Kind geboren wird“, damit war das Thema Aufklärung für meine Eltern abgehakt, schließlich konnte ich ja lesen … Es war mir oberpeinlich gewesen, als ich das Büchlein aus dem Weihnachtspapier ausgewickelt hatte, hab mich artig bedankt und eine halbe Minute sehr interessiert darin geblättert, bevor ich es weg legte – wusste doch eh schon bescheid. Aber ich weiß genau, dass die Wörter „ficken“ und „geil“ darin definitiv nicht vorgekommen sind. Auch in dem Buch „Mann und Frau intim“, was ich mir heimlich längst organisiert hatte, standen diese Wörter nicht drin. Wie sollte ich erklären, was ich selbst nicht genau verstand?
Ich guckte verschämt nach oben in ihre Gesichter und teilte mit, dass ich überhaupt nicht weiß, was das heißt, aber glaube, dass es bestimmt etwas Unanständiges ist. Damit war ich gut aus der Affäre! Sie glaubten mir und ließen sich noch eine Weile über die unsittliche Jugend aus und wohin denn das alles noch führen soll und wenn das so weiter geht und und und
Ich beschloss, so schnell wie möglich heraus zu finden, was genau „ficken“ und „geil“ bedeutet, irgendwo musste das doch nachzulesen sein oder jemand müsste es erklären können. Dann entschied ich mich aber, lieber nicht zu fragen, es könnte ja wieder zu einer peinlichen Situation führen. Für besser hielt ich es, einfach so zu tun, als wüsste ich es.
Auf jeden Fall war ich heilfroh, so glimpflich aus dieser misslichen Lage heraus gekommen zu sein und noch mehr war ich froh, dass zu dem Zeitpunkt nicht auch noch der Papa oder der Opa in der Küche waren, dann hätte ich es noch schlimmer empfunden.
Heute muss ich darüber lachen, wie verklemmt ich damals war und wie die Erwachsenen mit solchen Situationen umgegangen sind. Als ich einen meiner Söhne mal erwischt habe, als er (immerhin schon 16 Jahre alt) auf meinem PC eine zwielichtige Seite geöffnet hatte, sagte er nur: Ja, Mutter, ich bin halt in dem Alter. Und fertig war er mit mir.
Ich bin froh, dass ich mit meinen Kindern über solche Themen offen reden kann und wir uns kein Blatt vor den Mund nehmen müssen.
Auch wenn es nach wie vor nicht mein Jargon ist, aber wer immer diesen Zettel damals geschrieben hat – also unrecht hat er ja nicht – frech grins …