„Salut, Roter Oktober!“ oder: Wie man preiswert nach Berlin kam

1977 durfte ich mit meiner Mannschaft „Touristischer Mehrkampf“ zum „Fest des Roten Oktober“ nach Berlin fahren. Das Fest wurde anlässlich des 60. Jahrestages der Oktoberrevolution im damaligen Russland veranstaltet. Es war selbstverständlich, dass die DDR als kleiner Bruder der großen Sowjetunion dieses Ereignis mit einer würdigen Veranstaltung feierte.

An solchen Veranstaltungen durften immer nur ausgewählte FDJ-ler teilnehmen. Die Teilnehmer bekamen dann ein Mandat für diese Veranstaltung, sozusagen eine „Fahrkarte“ nach Berlin. Die Veranstaltungen zu solchen Jahrestagen zogen sich meistens über mehrere Tage hin. Die Jugendlichen wurden in der Regel einheitlich eingekleidet, meist mit gleichen Jacken und Kopfbedeckungen. Stoffbeutel mit aufgeruckten Emblemen (oder waren es doch nur Plastikbeutel?) rundeten das Outfit ab.

Okt 4 001  Karte

Hier ein Ausschnitt aus meinem Mandat und meine Eintrittskarte für die Eröffnungsveranstaltung.

Diesmal waren wir also die Auserwählten. Wir durften nach Berlin fahren! Das fanden wir fetzig! Natürlich bekamen auch wir einheitliche Nylonjacken und eine Art Mütze oder Hut mit einem roten Stern vorne dran. Der Hut sah echt bescheuert aus, fand ich. Sollte ich ihn irgendwann wieder finden, dann werde ich ihn fotografieren und hier abbilden. Jeder Leser kann sich dann vorstellen, dass ein 14jähriges Mädchen sowas nicht unbedingt auf dem Kopf haben muss. Ich beschloss, das Teil nur dann zu tragen, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ – sprich, wenn es strikt angeordnet wurde.

Wir bereiteten uns auf die Fahrt vor, indem wir eine Wandzeitung gestalteten. Wir sollten während unseres Aufenthaltes in Berlin an einem Erfahrungsaustausch an einer Schule teilnehmen und wollten mit der Wandzeitung über das Training, die Wettkämpfe und unsere Erfolge berichten. Immerhin waren wir jedes Jahr Kreismeister im Touristischen Mehrkampf, landeten auch bei den Bezirksmeisterschaften immer auf dem Siegertreppchen und schafften es sogar einmal bis zu den DDR-Meisterschaften. (Ich werde in einem anderen Block mal erzählen, was „Touristischer Mehrkampf“ ist.)

Zu solchen Großveranstaltungen kamen die auserwählten Jugendlichen aus der ganzen Republik nach Berlin. Sie mussten natürlich alle untergebracht werden. Meistens erfolgte die Unterbringung in Schulen. Es wurden Luftmatratzen in Klassenräume gelegt – fertig. Manche Teilnehmer wurden auch in Gastfamilien untergebracht.

Unser Quartier – mit UNSER meine ich einen Teil der Delegation aus dem Bezirk Suhl – war die 13. Oberschule in der Adalbertstraße. Mit unseren Mandaten durften wir übrigens alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, so oft wir wollten und im ganzen Raum Berlin, Ostberlin natürlich, logisch. Schnell hatten wir uns alle wichtigen Verbindungen, Umsteigebahnhöfe und die Stationen, die dazwischen lagen, eingeprägt. Die Versorgung zum Frühstück und Abendbrot erfolgte über Verpflegungsbeutel (wir sagten Fresspakete), Mittag gab es warmes Essen am jeweiligen Ort des Aufenthaltes. Es war immer reichlich und auch Obst war dabei.

Quartier        Okt 3 001

Foto links: unser Quartier. die 13.Oberschule in der Adalbertstraße und rechts ein nicht besonders gutes Foto von der Festveranstaltung im Stadion der Weltjugend. Hier sieht man unsere ausgefallenen Kopfbedeckungen 😉

Das Beste an der ganzen Sache war, wir konnten viel selbst unternehmen. Wir mussten lediglich zu den vorgeschriebenen Zeiten wieder im „Objekt“ sein bzw. uns zu den angeordneten Veranstaltungen einfinden. Außerdem sollten wir uns jeder Zeit und überall angemessen benehmen, schließlich waren wir ja auserwählte FDJ-ler. Wir nutzten diese Freiheit natürlich voll aus und erkundeten Berlin auf eigene Faust. Wir kamen zwar aus einem kleinen Dorf, noch dazu aus dem letzten Zipfel der Republik, auch guckte man uns öfter komisch an, wegen unserer fränkischen Mundart, aber wir bewegten uns wie selbstverständlich, ohne Ängste und Hemmungen in Berlin, als wären wir jede Woche dort. Ach, es war einfach schön. Die Tage vergingen viel zu schnell.

Das Ganze hat sicher einen Haufen Geld gekostet, da ließ sich die Regierung wirklich nicht lumpen. Wir fragten nicht danach, als Jugendliche interessierte uns das nicht. Wir wollten nur was erleben. Dennoch, die Einkleidung der Teilnehmer, die Reisekosten, die Unterbringung und Verpflegung, die Organisation der Massenveranstaltungen, es gab Auftritte von Rockbands und es wurde einfach ganz viel geboten – das war nicht grad ein Pappenstiel. Für die Regierung war wichtig: Es wurde präsentiert, es wurden Parolen geschwungen, der Sozialismus zeigte sich von seiner Sonnenseite, es war gute Stimmung unter den Teilnehmern und die Eröffnungsveranstaltung im „Stadion der Weltjugend“ war durchorganisiert bis ins kleinste Detail.

Keine Ahnung, was die Berliner von solchen Spektakeln hielten. Ich glaube, sie waren froh, wenn der ganze Rummel wieder vorbei war, die U- und S-Bahnen nicht mehr überfüllt waren und der Alltag wieder einkehrte. Aber auch darüber zerbrachen wir uns damals nicht den Kopf.

Die morgendlichen Appelle ließen wir über uns ergehen, dann gehörte der Tag uns. Und manchmal, wenn ich mir die alten Schwarz-Weiß-Fotos angucke und mich an die Zeit erinnere, fallen mir Textstücke aus den Liedern der Singegruppen ein:

„Und das war im Oktober, als das so war, in Petrograd, in Russland, im siebzehner Jahr …“

Dann muss ich schmunzeln und staune darüber, was einem doch im Gedächtnis so alles hängen bleibt …

Übrigens hätte ich wohl nie im Leben eine „Fahrkarte“ nach Berlin bekommen, wenn ich eine schlechte Sportlerin gewesen wäre. Immerhin war ich getauft, nahm in meiner Freizeit am Konfirmandenunterricht teil und sollte ein halbes Jahr später konfirmiert werden, außerdem hatten meine Eltern Kontakte nach dem Westen und keiner in unserer Familie war in der Partei, ähm, ich korrigiere, in der richtigen Partei! (mein Opa war ja in der CDU …) – also: ich war wirklich nicht grad der perfekte kommunistische Nachwuchskader 😉

So sah mein "Mandat" aus, mein Freifahrschein nach Berlin

Die Innenseite des Mandates

Die Innenseite des Mandates

Es gibt eine DVD: Salut, Roter Oktober – Ein Film von Rolf Schnabel zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution (1977, Farbe)

Ein Bildchen von dem Hut habe ich auch entdeckt unter:

http://t3.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcSaiFAcLYTy7f3Mpc-QVTHVfPQGjUkncD56uK20uPBtW1TYCipurJA9Yg

Untenrum nicht ganz perfekt

Mit Mühe war es mir gelungen, meinem von einer hartnäckigen Erkältung gezeichneten Gesicht ein halbwegs ausgehtaugliches Aussehen zu verpassen. Der Kleidersack mit dem Outfit hing schon seit dem Vorabend fix und fertig im Auto. Es konnte losgehen! Also rein in die Stiefel, Jacke dran und auf in unsere Landeshauptstadt Erfurt.

Ich hatte eine Verabredung 🙂 Heike, Vera und ich hatten uns vor ein paar Jahren bei einem Seminar der Hanns-Seidel-Stiftung in Kloster Banz kennen gelernt und uns inzwischen schon mehrmals zu anderen Seminaren getroffen. Da wir alle drei an unterschiedlichen Orten wohnen, Erfurt, Augsburg und Bedheim-City  ;-), ist das gar nicht so einfach mit „mal schnell zwischendurch privat treffen“. Bisschen Planung macht sich da schon ganz gut.

Vera hatte noch Urlaub und verbrachte ein paar Tage in Erfurt. Für mich ist die Entfernung überschaubar und in einer guten Stunde zu bewältigen. Also stand einem Treffen nichts mehr im Wege. Heike hatte sich für den Tag etwas Besonderes ausgedacht. Wir wollten zuerst ins Kerzen-Café gehen und anschließend in die Oper. Deshalb hatte ich mir vorgenommen, mich richtig gut zu fühlen und auf meine Erkältung zu pfeifen – basta!

Als ich ankam, standen die beiden standen schon in ihrer Ausgehgarderobe bereit. Ich wechselte Stiefel, Leggings und Shirt gegen weiße Marlene-Hose, nachtblaue Bluse, legte eine Perlenkette um und holte als letztes aus dem Kleidersack meine ebenso nachtblauen Lackschuhe …

Ähhhh? Die Schuhe! Oh, nein! Doch sie waren drin in dem Sack, zwei Stück, ein linker Schuh, ein rechter Schuh … nur nicht mein schickes nachtblaues, zur Bluse passendes Paar! Davon war nur einer drin – der linke! Anstelle des passenden Gegenstückes für den rechten Fuß war ein schwarzer Lederschuh drin! Wie das? Ja, klar, ich hatte am Abend zuvor überlegt, ob ich lieber mein „kleines Schwarzes“ oder doch besser eine Hose anziehe. Beim Einpacken der Sachen hatte ich mich dann scheinbar bei den Schuhen vergriffen …

Ich guckte auf das Paar in meinen Händen, das doch kein Paar war, dann guckte ich Heike und Vera an und dann – musste ich lachen, laut los lachen. Ich würde heute also mit zweierlei Schuhen ausgehen – mal was ganz anderes! Wie originell! Ich hatte keine Wahl (meine Stiefel gingen erst recht nicht) also nahm ich es mit Humor und dachte mir: es gibt Schlimmeres.

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Anfangs kam ich mir wie ein Hanghuhn vor, da die Absätze unterschiedlich hoch waren (zum Glück nur 1,5 cm). Das konnte ich jedoch nach kurzem Probelauf durch entsprechende Beckenbewegungen (diese nennt man auch Popowackeln –grins) gut kompensieren. Des Weiteren versuchte ich durch dezentes Schlenkern meines totschicken GUCCI-Täschchens die Blicke auf Selbiges und somit von meinen Schuhen (ab) zu lenken. Vorsichtshalber. Nicht, dass mich noch jemand für verwirrt hält oder so … Alle anderen Fotos wurden übrigens so aufgenommen, dass meine Schuhe nicht mehr zu sehen waren, wie schade!

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Der Tag wurde wunderschön. Ich dachte nur an die Schuhe, wenn mich mal wieder jemand damit aufzog. Das geschah so ca. alle viertel Stunde – oder war es öfter? Wir kamen dann auf die Idee, dass ich damit vielleicht einen neuen Trend in der Damenschuhmode für 2015 setzte. Heike – die Trendsetterin! Manche Fußballer spielen schließlich auch mit zweierlei Schuhen. Warum eigentlich? Sind die farbenblind, wollen die angeben, sind die zerstreut und haben auch die falschen eingepackt oder können die auf diese Weise besser rechts und links unterscheiden??? Egal – bis jetzt hat mich jedenfalls noch kein Modeschöpfer angerufen – die haben scheinbar alle Weihnachtsurlaub oder bessere Ideen 😉