Grenzgeschichte

Zeitzeugenbericht

Es war um die Mitte der 50er Jahre im letzten Jahrhundert.

Ich war in der MTS (Maschinen-Traktoren-Station) Streufdorf beschäftigt, wir waren damals etwa zwanzig Männer. Unter Anderem waren wir für das Ackern des Zehn-Meter-Streifens an der Grenze nach Bayern zuständig und zwar ab Völkershausen um den Straufhain herum, links vorbei an Rudelsdorf und Rossfeld (beide Orte auf bayrischer Seite) Richtung Streufdorf und noch ein Stück in Richtung Steinfeld. Der Streifen musste regelmäßig geackert werden, damit man Spuren darin sehen konnte, wenn jemand unbefugt das Gelände betrat oder gar in den Westen flüchten wollte.

Nicht jeder durfte den Zehn-Meter-Streifen pflügen, dafür wurden nur Leute, die keine Verwandtschaft im Westen hatten, eingesetzt. Natürlich war bei jedem dieser Ackereinsätze ein Grenzer mit dabei. Die Grenzer und die Leute vom Dorf kannten sich manchmal. Zumindest vom Sehen her. Entweder durch´s Wirtshaus oder wenn sie sich bei Feldarbeit und dem Streife laufen begegneten.

Ich war noch ziemlich jung, hatte gerade meine Ausbildung in der MTS Streufdorf beendet und verdiente für mein Alter schon recht gut: 1,25 Mark in der Stunde. Viel Geld für mich damals. Da ich im Kollektiv und beim Brigadier als vertrauenswürdig galt und nie Absichten geäußert hatte „in den Westen rüber machen“ zu wollen, war ich einer der Leute, die zum Ackern des 10-Meter-Streifens eingeteilt wurden.

An diesem Tag war der Stabsfeldwebel K. aus Streufdorf mit mir auf der Raupe, hinten an der Raupe hing die Egge. Im Bereich zwischen Streufdorf in Richtung Steinfeld ging es ziemlich bergauf, da war mit einem Traktor nicht viel auszurichten. Deshalb kam dort die Raupe zum Einsatz. Auch hinter dem Straufhain war die Raupe angebracht, denn es gab dort eine ziemlich feuchte Stelle, die umfahren werden musste, wenn man nicht versinken wollte. Die Demarkationslinie ging genau mitten durch diese Stelle. Das bedeutete, die Raupe musste zwangsläufig einen kleinen, illegalen „Umweg“ durch die Bundesrepublik machen, es handelte sich aber wirklich nur um höchstens 2 Meter. Dumm war nur, dass ausgerechnet an diesem Tag und ausgerechnet auf diesem kleinen Umweg die Kette der Raupe herunter sprang. Nicht ganz, aber doch so bedenklich, dass ich nicht weiter fahren konnte. Der Genosse Stabsfeld sprang wie ein Blitz herunter und rüber in den Osten. Bestimmt wollte er sich keinen Ärger einhandeln. Vor lauter Schreck hatte er seine Waffe liegen gelassen, die ich ihm schnell zureichte. Zur gleichen Zeit ackerte ein Bauer auf der Westseite sein Feld und beobachtete das Geschehnis. Er kam näher, nickte wissend und sagte zu mir: „Pass auf, Jung, ich muss jetzt erst mal heim, meine Gäule füttern und versorgen und was essen, dann komm ich wieder und helf dir.“ Seinen Pflug ließ er stehen, dann machte er sich auf den kurzen Heimweg nach Rudelsdorf.

Tja, da half nur warten. Und so setzte ich mich zu dem Genossen Stabsfeldwebel auf ostdeutschen Boden rüber, wo ich der Ordnung halber ja auch hin gehörte. Dieser hatte bereits per Funk die Sachlage weiter gegeben. Es gesellten sich zwei Grenzer zu uns, die gerade auf Postengang waren. Nach einer Stunde kam der Bauer aus Rudelsdorf zurück. Er hatte Brot, Wurst und Bier dabei, was er uns anbot und das ich letztendlich im Westen verzehrt habe, weil er ja nicht in den Osten rüber durfte. Der Genosse Stabsfeldwebel verzichtete lieber auf das Angebot, drückte aber alle Augen zu, denn schließlich war es auch in seinem Sinne, dass dieses kleine Malheur zügig behoben wurde. Damals gab es an dieser Stelle noch keinen Zaun, nur Schilder an schwarz-rot-goldenen Holzpfählen. Nach der Brotzeit wurde mit vereinten Ost-West-Kräften die Kette wieder aufgelegt und die Arbeit konnte ohne weitere Zwischenfälle fortgeführt werden.

Wäre interessant zu wissen, ob dieser Vorfall mal irgendwo vermerkt wurde. Und wer der hilfsbereite Landwirt war, das war später auch nicht mehr zu erfahren. Seinen Namen hab ich vergessen. Es war auch besser, Kontakte nach „drüben“ zu vermeiden. Gerade in den Streufdorfer Einwohnern steckte noch lange der Schock der Aktion „Ungeziefer“, bei der viele Familien zwangsweise aus der Sperrzone ausgesiedelt wurden.

Ein Ereignis jedes Jahr im Spätherbst war die Straufhain-Treibjagd, da durfte im Sperrgebiet gejagt werden. Es waren natürlich immer Posten mit dabei. Wir jungen Leute waren die Treiber, das hat uns Spaß gemacht. Einmal wurde versehentlich (oder auch nicht) eine Sau auf westlicher Seite erlegt, ganz dicht unmittelbar an der Grenze. Irgendjemand sagte schlicht: Los, geht nüber und zerrt sie schnell rüber. Manchmal wurden auch geschossene Hasen im Dickicht versteckt und spät abends heimlich geholt.

Als Jugendlicher und mit allerhand Flausen im Kopf war für uns so ein kleiner Ausflug über die Grenze Anfang der 50er eine Herausforderung: es rüber zu schaffen und natürlich wieder zurück, ohne erwischt zu werden. Einmal hätte ich es mit einem Schulkameraden vielleicht bis Coburg geschafft, wäre da nicht am Fuchsberg der Reifen am Fahrrad geplatzt. Natürlich durften unsere Eltern von solchen Aktionen nichts wissen, war auch besser so.

Das war alles vorbei, nachdem der Zaun gebaut wurde. Ganze Waldstücke wurden gerodet, um den Grenzstreifen überschaubar zu machen. Unmengen von Holz sind gemacht worden! Die Bewohner konnten sich Genehmigungen für die Holzabfuhr holen, was rege genutzt wurde.

Im Mai 1952 ist eine „Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie“ vom MfS im Auftrag der DDR-Regierung erlassen worden. Die Fluchtbewegung in den Westen sollte damit unterbunden werden. Es gab dann also den 10 Meter Kontrollstreifen, dann kam der 500 Meter breite Schutzstreifen und die 5 Kilometer Sperrzone.

Mit meinem Zetor und einem großen, hinten angehängten Bohrgerät war ich dabei, als der Grenzzaun Richtung Linden gebaut wurde. Manchmal war das an Steigungen im Gelände ziemlich gefährlich und ich dachte so manches Mal, mein Karren kippt mir gleich um. Es ging zum Glück immer gut und irgendwie wussten wir uns sowieso immer zu helfen, egal, in was für Situationen wir auch kamen. Im Improvisieren waren wir Meister. Es blieb uns ja manchmal nichts weiter übrig, denn es fehlte oft an Ersatzteilen zum Instandhalten der landwirtschaftlichen Maschinen. Wir Leute von der MTS und die Grenzer arbeiteten bei der Errichtung des Grenzzaunes Hand in Hand. Das Essen aus der Gulaschkanone der Grenzer wurde auch an uns Arbeiter ausgegeben, nach meinen Erinnerungen das „reinste Gedicht“ und es hat für so manche Strapazen entschädigt.

Ein paar schwache Erinnerungen habe ich auch heute noch an die Baracken der Russen am Fuße des Straufhain. Die wurden dann aber irgendwann abgerissen. Wann genau das war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Es wurde dann die Grenzkompanie Holzberg, Richtung Steinfeld erbaut (später kam dort die ZBO = Zwischenbetriebliche Bauorganisation unter), danach die Grenzkompanie am Ortseingang Streufdorf von Simmershausen kommend (heute sind darin asylsuchende Menschen untergebracht).

Zetor 001

Das Foto stammt aus dem Jahr 1957 und zeigt den Zetor, den ich damals fuhr. Allerdings arbeitete ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der MTS, sondern als Kraftfahrer im VEB Kraftverkehr Hildburghausen, wo ich viele Jahre tätig war.

Diese Geschichte habe ich nach den Erinnerungen eines Zeitzeugen aufgeschrieben. Für die interessanten Informationen bedanke ich mich sehr herzlich.

Schweine

Gestern gab es Sauerkraut mit Eisbein. Ja, ich weiß, ist gar nicht gesund und passt überhaupt nicht in die Fastenzeit. Allerdings faste ich auch nicht. Aber am Sonntag essen wir schon ab und zu ganz gerne mal deftig.

Ich hatte das Eisbein beim letzten Schlachten eingefroren und fand, dass es nun an der Zeit war, es endlich aufzuessen. Am Vorabend hatte ich es schon in reichlich Wasser mit Gewürzen und Suppengrün abgekocht, bis das Fleisch so weich war, dass es fast vom Knochen fiel. Gestern war die Brühe so richtig schön geliert. Ich gab das Sauerkraut dazu, noch ein Lorbeerblatt, ein paar Wacholderbeeren und etwas Zucker und der Geschmack war perfekt, mehr war gar nicht nötig, da das Kraut schon vorgewürzt war. Das Fett der beiden Eisbeine ritzte ich im Karodesign ein und ab damit in die Röhre. Während das alles so vor sich hin brutzelte, kochten schon die Kartoffeln für den Kartoffelbrei (eigentlich sollte es Wickelklöße (altes Rezept meiner Oma, total lecker zu Sauerkraut) geben, aber dann hatte ich doch eher Appetit auf Kartoffelbrei) und ich hackte Zwiebeln, die ich dann in Butterschmalz röstete.

Während dessen musste ich an meine Kindheit und Jugend denken. Als ich noch klein war, hatten wir mehrere Schweine auf unserem Hof. Da gibt es ein Foto, da füttere ich unsere Ferkel, die mitten im Hof herum laufen. Später hatten wir keine eigene Landwirtschaft mehr und hielten uns nur noch ein Schwein im Jahr, das dann geschlachtet wurde, wenn es soweit war. Dieses Schwein bekam dann immer einen Namen. Wir sagten dann nicht: „Ich füttere das Schwein.“ sondern „Ich füttere den Kurti.“ oder wie auch immer er hieß. Einmal hieß unser Schwein Eduard (frei nach Karl Eduard von Schnitzler) und ein anderes Mal Honni (abgeleitet von Honnecker). Das durfte aber niemand außer unserer Familie so genau wissen, schließlich wollten wir nicht im Knast landen, denn die Stasi hatte ihre Lauscher überall. Wir meinten das natürlich überhaupt nicht böse mit den Namen, Opa fand es sogar sehr lustig. Wie auch immer – Napoleon und Kolumbus waren da eher unverfänglichere Namen. Jedenfalls wurde unseren Schweinen am Ende allen kurzer Prozess gemacht – egal wie sie hießen.

Wir hatten immer nur männliche Tiere, das wollte der Opa so. Opa war auch der Metzger. Er hat nicht nur unser Schwein geschlachtet sondern auch die Scheine von anderen Leuten im Dorf. In den Wintermonaten hat er nicht selten 7 Tage in der Woche irgendwo geschlachtet. Er hat 20 Mark am Tag bekommen, manchmal auch 25 Mark.

Die Schweine hatten damals noch Ringelschwänzchen. Die wurden nach dem Totmachen abgeschnitten und heimlich irgend jemandem, der beim Schlachten mit geholfen hat, mit einer Sicherheitsnadel hinten dran gesteckt. Das fanden wir Kinder natürlich total lustig, aber wir durften nichts verraten.

Eins der älteren Kinder wurde dann irgendwann im Laufe des Tages los geschickt, um in der Nachbarschaft das „Bratwurstmaß“ zu holen. Natürlich gibt es so ein Ding überhaupt nicht. Also wurde von den eingeweihten Nachbarn ein Tragkorb mit Heu und Ziegelsteinen gefüllt und dem Unwissenden auf den Rücken gesetzt. Dann wurde ihm noch mit rußgeschwärzten Händen ein paar Mal über die Wangen gestrichen und seine Tüchtigkeit gelobt und dass er ja schön vorsichtig sein soll beim Tragen des Bratwurstmaßes. Solche Streiche und ähnliche wurden gespielt. Das gehörte einfach dazu und wenn einer keinen Spaß vertragen konnte, dann hatte er eben Pech.

Ich habe mich immer gefreut, wenn endlich das Fleisch für die Rotwurst geschnitten wurde und ich mein Stück Nierchen und etwas mageres Kopffleisch oder Wellfleisch auf den Teller bekommen habe. Dazu gab es einfach nur Salz und trockenes Brot, das war lecker.

Und immer wenn ich jetzt Fleisch abkoche für eine Suppe und die Düfte in meine Nase steigen, dann erinnere ich mich an die Schlachtgerüche meiner Kindheit und die alten Geschichten fallen mir wieder ein. Ich sehe meinen Opa Hugo vor mir und überlege mir Namen für Schweine, die ich nie haben werde – und da fallen mir soooooo viele Namen ein…

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Das bin ich in unserem Hof 1965

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Und so sehen Wickelklöße auf Sauerkraut aus. Rezept: 2 Eier, Wasser (Menge nach Gefühl) und Salz mixen, 1 Pfund Mehl und 1 Backpulver darunter kneten, einen halben cm dünn ausrollen. Die Teigplatte in ca. 5 cm breite Streifen schneiden und diese schneckenförmig aufrollen. Die Wickelklöße auf das fertige Sauerkraut setzen oder in einen extra Topf über Dunst ca. 10 min dünsten lassen. Sie werden dabei etwas dicker und lockerer.

Guten Appetit.