Baumeltage

Alles baumelt so vor sich hin, unten meine Beine, oben meine Zöpfe, die ich mir geflochten habe, damit mir der Wind nicht dauernd die Haare ins Gesicht pustet, in der Mitte baumelt meine Seele so gemütlich und völlig relaxed vor sich hin – was für ein wunderbares Lebensgefühl! Die Sonne streichelt warm meine unverhüllte Haut. Sieht ja keiner, hab meinen Strandkorb Richtung Dünen gedreht – da läuft kein Mensch lang. Möwen, Wespen und Schäfchenwolken ziehen vorbei, die interessieren sich jedoch nicht für mich 😉 Ich höre das Meer und das Lachen spielender Kinder, empfinde es angenehm. Manchmal nicke ich ein und träume.

Ich lasse Gedanken zu, die mir kommen und muss schmunzeln. Heute vor einer Woche und einem Tag packte ich Luftmatratze, Bettzeug, zwei 10-Liter-Wasserkanister, Campingdusche, ein paar Lebensmittel, einen klappbaren Regiestuhl und ein paar Klamotten in meinen PKW und fuhr los. Traum erfüllen: auf und davon, allein, nach irgendwohin …

Mein erstes Ziel war allerdings geplant. Pfaffschwende im Eichsfeld. Dort nahm ich an einem Forumstreffen teil mit Vortrag, Besichtigung der ehemaligen Grenzkompanie Weidenbach und einer Kapelle dicht an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Es war sehr interessant, besonders die persönlichen Erlebnisse der Menschen und die spannenden Geschichten aus vergangenen Tagen. Sabine, eine Lehrerin aus Annaberg-Buchholz, war meine erste Begegnung bei diesem Treffen. Vielleicht bleiben wir weiter in Kontakt …

Von dort aus machte ich einen Abstecher Richtung Fulda zu einem Geburtstag, dann wieder zurück zum Forumstreffen, um am Sonntag weiter zu fahren ohne festes Ziel Richtung Ostsee.

Die erste Nacht im Auto war nicht so gemütlich. Selber schuld. Wir hatten bis nachts um 1:00 draußen gesessen, gelabert und dabei sind meine Füße kalt geworden. Die nächsten Nächte war ich schlauer.

An frühen Sonntag Abend erreichte ich die Insel Poel. Eine Insel ist immer gut für eine Auszeit vom Alltag, dachte ich mir unterwegs so kurz vor HH, als sich der Verkehr sehr zähflüssig an einer Unfallstelle vorbei quälte und ich in Ruhe über mein Reiseziel nachdenken konnte.

Tja, und da bin ich nun immer noch, genieße die Seeluft und lerne jeden Tag neue Menschen kennen. Ich habe Abstecher nach Wismar und Boltenhagen gemacht und einen Bekannten besucht, der sich das wohl schönste Haus hier auf der Insel hat bauen lassen, mir eine exklusive Privatführung bot und dessen Frau das leckerste Bohnengemüse, dass ich in meinem ganzen Leben je gegessen habe, für uns gekocht hat.

Am ersten Abend hier checkte ich erstmal die Lage – WC, eventuell Dusche, Parkgebühren etc. Meinen Parkplatznachbarn (mit Wohnmobil) begegnete ich nach meinem ersten Strandbesuch zum Sonnenuntergangsfotoshooting zufällig noch mal in dem kleinen Bistro am Hafen. Später saßen wir gemütlich zusammen, tranken Büchsenbier, verscheuchten gefräßige Mücken, erzählten bis zum Müdewerden und ich tapste im Dunkeln zurück zu meinem Auto, das ich zum Glück gleich fand. Am nächsten Tag waren die Leute weiter gezogen auf ihrer Ostseeküstentour.

Abends am Strand begegnete ich einmal einem älteren Ehepaar. Er kümmerte sich rührend um seine Frau. Er fotografierte ebenfalls den Sonnenuntergang, seine Fotos waren  – naja … Wir kamen ins Gespräch. Dabei merkte ich, dass seine Frau vermutlich krank war, denn sie hatte Mühe mit dem Sprechen und Bewegen. Ich fragte, ob ich sie beide mit ihrem Apparat vor dem Sonnenuntergang fotografieren darf. Ich durfte. Dabei stellte ich ihren Fotoapparat so ein, dass seine nächsten eigenen Fotos besser gelingen würden. Er machte dann auch noch ein paar schöne Fotos und war richtig glücklich. Hand in Hand schlenderten sie etwas später zurück Richtung Leuchtturm. Ich rief zuhause an, wie jeden Tag, und erzählte von dieser Begegnung.


Eines Tages stand neben meinem Auto ein geschlossener Anhänger. Ich überlegte, was da wohl drin sein könnte. Am nächsten Morgen wusste ich es – eine Harley! Manfred, der Besitzer, wohnte gegenüber auf dem Campingplatz und machte an diesem Tag eine Spritztour. Er lud mich spontan ein, leider hatte ich keine passenden Klamotten dabei, schade.

Mein Frühstück findet ganz locker neben dem Auto statt: Regiestuhl, Einkaufskorb als Tischersatz – fertig. Brot besorge ich am Tag vorher, alles andere habe ich im Auto. Ich lasse mir Zeit, das Autoradio spielt dabei und ich lese ein paar Seiten in meinem Buch. Während dessen lüftet mein Bett und das Handy lädt auf – alles im Griff 🙂 Danach kommt der Wasserkanister aus dem Auto und meine morgendliche Katzenwäsche und das Zähneputzen folgen. Der Tag kann starten. Leider habe ich morgen das letzte Frühstück hier vor mir, dann geht’s wieder Richtung Heimat.

Wie gerne würde ich noch ein, zwei Wochen dran hängen. Ich staune jeden Tag, dass ich mit so wenigen Sachen auskomme und zufrieden bin. Hab sogar noch viel zu viel dabei. Schöne Erfahrung!

Ob ich das „Baumeltage-Feeling“ mit in den Alltag nehmen kann? Werd mir ein kleines Kistchen besorgen, das Gefühl hinein packen, bei Bedarf mit geschlossenen Augen rein gucken, mich erinnern und es schnell wieder zu machen, damit der Inhalt nicht so schnell aufgebraucht ist. Und nächstes Jahr fülle ich es wieder neu auf – weiß der Geier, wo ich dann rumbaumeln werde …

Paloma Blanca

Sommer 1975, 8 Wochen Ferienzeit, bevor ich in die 6. Klasse kam. Und ich durfte das erste Mal ins Ferienlager, war ich aufgeregt! Alleine verreisen, zwei Wochen lang, so richtig mit kleinem Köfferchen, „Kulturbeutel“ und Bestecktasche! Die Reise ging allerdings nicht sehr weit, gerade mal bis nach Heubach, nur 30 km von daheim entfernt. Aber egal, ich ging auf Reisen!

Die Betriebe der Eltern boten solche „Ferienlager“ kostenlos für die Kinder der Betriebsangehörigen an. Mein Papa arbeitete damals beim VEB (Volkseigener Betrieb) Bau in Hildburghausen. Klar ging es nicht in Hotels. Das Höchste der Gefühle waren Jugendherbergen. Meistens jedoch handelte es sich um einfachere Unterkünfte wie Zelte, Reihenbungalows oder Baracken, die mit Mehrbettzimmern und Sanitäranlagen auf den Fluren ausgestattet waren. Es gab Vollverpflegung und jeden Tag Unternehmungen. Wir wanderten, gingen ins Schwimmbad, trieben viel Sport und besichtigten alles Mögliche, was die Umgebung für Kinder anbot.

In meinem ersten Ferienlager waren wir in der Heubacher Schule untergebracht. Wir übernachteten auf Luftmatratzen in einem Klassenraum, Mädchen und Jungen natürlich in getrennten Räumen. Der Koffer lag neben der Matratze, mehr Platz war da nicht, es stand höchstens noch ein Stuhl da, ich weiß nicht mehr genau. Es hat uns jedenfalls gereicht, wir waren nicht sehr anspruchsvoll und sowieso nur zum Schlafen in dem Klassenzimmer.

Am Ortsrand von Heubach, oben auf dem Berg, war noch ein anderes Ferienlager. Soweit ich mich erinnern kann, gingen wir jeden Abend geschlossen dort hin, denn da war immer Disko im Freien angesagt. Der deutsche Hit des Sommers war „Paloma Blanca“. Natürlich wurde er mehrmals am Abend gespielt und wir konnten ihn alle mitsingen: „Uh La Paloma Blancaaaaaa …..“

Ich hab damals einen Jungen aus dem anderen Ferienlager kennen gelernt. Harald. Wir haben jeden Abend miteinander getanzt. Ich freute mich den ganzen Tag lang darauf, ihn abends wieder zu treffen. Ach, war das schön! Wir waren „verknallt“ ineinander, so sagten wir damals. Am Sonntag besuchten mich meine Eltern. Eigentlich hatte ich gar keine Sehnsucht und es war mir auch ein bisschen peinlich, aber sie bestanden darauf und andere Kinder bekamen zum Glück auch Besuch. Ich erzählte ihnen von Harald und wurde bestimmt rot dabei. Sie wollten auch den Nachnamen wissen. Natürlich kannten meine Eltern seine Familie (wen kennt mein Papa auch nicht?! -lach). So erfuhr ich, dass er in meinem Heimatort Verwandtschaft hatte, noch dazu eine Cousine, die ausgerechnet in meine Klasse ging. Das fand ich prima, so würde sich auch ein Kontakt nach dem Ferienlager möglicherweise etwas einfacher gestalten können …

Am letzten Abend tauschten wir unsere Adressen aus. Schon eine Woche nach dem Ferienlager bekam ich einen Brief von ihm. Der wurde mir aber erst am Abendbrottisch vor der ganzen Familie feierlich übergeben. Alle guckten mich erwartungsvoll an, als ich ihn öffnete und dann sollte ich ihn auch noch laut vorlesen. Das war mir vielleicht unangenehm! Schließlich war das doch MEIN Brief. Ich fügte mich aber und las laut vor. Der Brief war nicht lang. Aber den einen Satz vergesse ich nicht: „Ich muss immer an dich denken, wenn im Radio Paloma Blanca gespielt wird.“

Heute Abend hat mein Mann eine aufgezeichnete „Hitparade“-Sendung vom September 1975 im Fernseher angeschaut. Da kam das Lied und mit ihm die Erinnerungen …

http://www.youtube.com/watch?v=iUqpXV7vch8

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