Die Geschichte von dem riesengroßen Stein

Heute blätterte ich mal wieder in meiner Kindergartenmappe und betrachtete meine kleinen, selbst gestalteten „Kunstwerke“ von damals. Über 45 Jahre alt ist die Mappe schon. An die Entstehung mancher Bilder kann ich mich noch erinnern, zu manchen Bildern fällt mir eine Situation oder eine kleine Geschichte ein. Auf der Rückseite jedes Bildes stehen das Thema sowie das Datum und natürlich mein Name. Ich bin froh, dass meine Kindergärtnerin alle meine Arbeiten so sorgfältig abgeheftet hat.

Kurz bevor wir in die Schule kamen, wanderten wir auf den Kleinen Gleichberg. Das war eine alljährliche Tradition für alle zukünftigen Schulanfänger. Ich kann mich gut an diesen Tag erinnern. Fotos gibt es davon nicht, wir haben am nächsten Tag ein Bild mit Bleistift davon gezeichnet.

Auf meiner Zeichnung ist nicht ein einziges Kind zu sehen, nur der Berg, die Bäume, ein paar Granitsteine der ehemaligen Ringwälle der Kelten (für weitere Steine hatte ich scheinbar keine Lust mehr) und ein besonders großer Stein, der fast so groß war wie ich selbst damals. Der Stein lag ungefähr an der Stelle, wo jetzt die Schutzhütte steht. Weiterhin sieht man noch das Waldhaus und den Stausee. Das waren die für mich wichtigen Dinge, die auf meinem Bild sein mussten.

Nach diesem Wandertag war ich viele Jahre lang nicht mehr auf dem Kleinen Gleichberg. Etwa elf oder zwölf Jahre später bin ich mit meinem Freund wieder hoch gewandert. Schon vorher hatte ich ihm von dem riesengroßen Stein erzählt, an den ich mich noch gut erinnern konnte. Diesen Stein wollte ich ihm unbedingt zeigen, weil er für mich die Erinnerung an einen Tag aus meiner Kindheit symbolisierte.

Als wir an der Stelle ankamen, lag da auch ein Stein. Von groß oder gar riesengroß konnte allerdings nicht die Rede sein. Ich war zunächst etwas verwirrt und enttäuscht und schaute mich um, ob da nicht irgendwo doch noch dieser große Stein läge. Das war natürlich absurd, denn dieser mickrige Stein, der da lag – das war tatsächlich mein riesengroßer Stein von damals, nur ich war inzwischen beträchtlich gewachsen und die Relationen hatten sich ganz einfach geändert.

Mir war das zwar die ganze Zeit bewusst, ich wollte es trotzdem nicht wahr haben. Wir mussten letztendlich herzlich darüber lachen. Den Rest des Tages durfte ich mir jede Menge Gespött anhören: „Pass´auf, dass du nicht stolperst, hier liegen lauter Felsen herum …“ usw.

Immer, wenn wir heute auf den Gleichberg wandern, erzähle ich diese kleine Geschichte.

Gleichberg 001