Mit „Jugendtourist“ nach Bulgarien

2015

Neulich schrieb ein Freund, dass er für seine Familie zum Mittagessen Schopska-Salat zubereitet. Sofort musste ich an Bulgarien denken und meine zwei Reisen in dieses Land, beide zu DDR-Zeiten über Jugendtourist, beide schön und wert, sich daran gerne und mit einem Schmunzeln zu erinnern. Damals habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Schopska-Salat gegessen – hmm, lecker!

1989

Am Abend vor meiner Abfahrt musste ich mir noch einen Vortrag von meiner Mutter anhören, dass ich ja nicht leichtsinnig sein und „das mit dem Fallschirm“ auf keinen Fall machen sollte, weil es bestimmt gefährlich wäre. Ich hatte nach meiner letzten Reise davon geschwärmt und war keineswegs abgeneigt, das mal auszuprobieren. Natürlich sagte ich das meiner Mutter nicht, ich würde es ihr sowieso erst hinterher erzählen 😉 („Das mit dem Fallschirm“ = mit Hilfe eines Motorbootes an einem Fallschirm über dem Meer schweben)

Nun saß ich im Zug nach Berlin-Schönefeld und erinnerte mich an meine erste Reise nach Bulgarien. Das war im Mai 1985. Zwei Wochen Slanchev Bryag am Sonnenstrand in der Nähe von Nessebar. Wie würde es wohl dieses Mal werden? Immerhin würde mich der erste Teil der Reise wieder in diesen Badeort führen. Ich schloss meine Augen und ließ meine Gedanken vier Jahre zurück wandern …

1985

Hochzeitsreise. Wir kannten niemanden in unserer Reisegruppe. Erst im Transitbereich vor dem Abflug lernten wir flüchtig ein Pärchen in unserem Alter kennen – prima – vielleicht konnte sich daraus eine Urlaubsbekanntschaft entwickeln und ich hoffte insgeheim, sie hätten nichts gegen eine Runde Skat ab und zu.

Unsere Unterkunft in Slanchev war recht einfach, aber für uns vollkommen ausreichend. Es war immer besser, vorher nicht allzu hohe Ansprüche und Erwartungen zu haben. Wir hatten einen kleinen, sehr spärlich eingerichteten Bungalow, der aus einem einzigen Raum bestand und sich auf einem großen Campingplatz befand. Links und rechts an der Wand neben der Eingangstür befand sich je ein Fenster (ohne Mückenschutz). Es war gerade mal Platz für zwei Betten – eins davon stand rechts an der Außenwand, das andere links an der Außenwand, dazwischen war ein knapper Meter Platz. Ein kleiner Tisch und zwei Stühle, ein Spiegel, KEIN Schrank. Unsere Koffer hatten wir unter das Bett geschoben. Wenn wir etwas heraus nehmen wollten, dann mussten wir das nacheinander tun. Zu den Toiletten und Gemeinschaftsduschen hatten wir etwa 50 Meter zu gehen, wenn es eilig war, sind wir halt schneller gelaufen. Meistens mussten wir rennen 😉 Gegen Mitte der 2. Woche haben wir das Essen dann ganz gut vertragen und konnten den Gang zum Örtchen entspannter gehen. Frühstück und Abendessen gab es in einem nahe gelegenen Speisesaal. Das Essen war nicht besonders abwechslungsreich, aber wir sind satt geworden. Tagsüber haben wir uns manchmal frisch gebratenen Fisch gekauft, den gab es sehr günstig, total lecker und direkt vom Rost herunter. Zum Strand war es nicht weit, vielleicht 200 Meter. Er war für uns einfach traumhaft, feiner Sand, das Wasser sauber, angenehme Badetemperatur – herrlich!

Mit den Toiletten hatte ich anfangs meine Probleme. Eigentlich gab es auf dem Campingplatz gar keine richtigen Toiletten in den Sanitärbereichen. Die Duschen und WC´s erinnerten eher an Wellblechhütten. Die Wände hatten einen gewissen Abstand vom Erdboden, so dass man von außen immer die Füße der Menschen sehen konnte, die sich gerade darin aufhielten. Das fand ich ziemlich gewöhnungsbedürftig. Die Toiletten waren gefliest und hatten jeweils ein Loch von ungefähr 10 Zentimeter Durchmesser (+/- … kann mich nicht genau erinnern) im Boden. An der Seitenwand war ein Griff zum Festhalten und hinter dem Loch kam bis auf eine Höhe von ca. 1 Meter ein Rohr aus dem Boden, auf dem sich oben der Spülknopf befand und vorne dran, wie bei einem Wasserhahn, eine nach unten zeigende Öffnung. Wenn man den Spülknopf betätigte, kam das Spülwasser aus dieser Öffnung mit reichlich Druck herunter gespritzt in Richtung Loch. Es war keine gute Idee auf die Toilette zu gehen, wenn gerade mehrere Leute duschten, denn dann reichte das Wasser oft nicht für die Spülung. Auch war es von Vorteil, vor der Betätigung des Spülknopfes zuerst die Tür der Toilette zu öffnen, damit man schnell hinaus springen konnte, bevor das Wasser herunter spritzte, denn die Toilettentür ging nach innen auf. Andernfalls konnte es passieren, dass man dem Wasserstrahl und dem, was er mit seinem Druck wegspülen sollte, nicht ausweichen konnte und sich hinterher die Unterschenkel waschen musste.

Leider hatte ich noch nie vorher die Gelegenheit gehabt „Lochgeschäfte“ zu üben, entwickelte aber schnell eine relativ gute Treffsicherheit. Manchmal gönnten wir uns den Luxus und benutzten die stillen Örtchen gepflegter Restaurants, auch wenn wir dafür blechen mussten.

Abends oder am Strand spielten wir manchmal Skat. Ich hatte es erst vor einiger Zeit gelernt und wollte jede Gelegenheit zum Üben nutzen. Die Frau des anderen Pärchens hatte keinen Bock zum Skat spielen. Sie wollte es auch nicht lernen. Leider. Sie zickte deshalb ab und zu, also gaben wir nach und machten, was sie gerne wollte. Meistens waren wir uns aber einig und verbrachten zwei wirklich schöne Wochen zusammen.

Damals habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Schopskasalat gegessen. Hmmmm – lecker!

1989

Ich guckte auf die Uhr. Der Zug näherte sich dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Diesmal reiste ich alleine. Der Mann, den ich 1985 geheiratet hatte, war nicht mehr dabei, er hatte sich eine andere Frau gesucht. Ich hatte noch keinen neuen gefunden und meine Bekannte, mit der ich zusammen verreisen wollte, hatte kurz vor Antritt der Reise abgesagt. Auf meinen Bulgarienurlaub wollte ich aber nicht verzichten. Ich war froh, dass ich die Reise über Jugendtourist ergattert hatte und Anschluss würde ich in der Reisegruppe schon finden.

Ich zwängte mich im schmalen Gang des Zuges mit meinem Koffer Richtung Ausgang. Vor mir stand ein gut aussehender Mann in meinem Alter, auch mit Koffer. Ob er auch in den Urlaub fliegen will? Und wenn ja wohin? Nachdem er ausgestiegen war, nahm er mir meinen Koffer ab und trug ihn aus dem Zug. Das fand ich sehr nett von ihm.

Am Flughafen Schönefeld angekommen, kaufte ich mir zur Sicherheit noch ein paar zusätzliche Filme für den Fotoapparat. Hinter mir standen zwei Frauen. Eine sagte zu mir, dass ich mich von der Mundart her anhören würde, als ob ich aus dem Bezirk Suhl komme und dass sie eine Reisegruppe aus diesem Bezirk suchen würden, die heute nach Burgas fliegt. Ja, sagte ich, das könnte meine Reisegruppe sein. Und schon hatte ich Anschluss gefunden. Elke, Ina und ich waren von diesem Zeitpunkt an für zwei Wochen fast unzertrennlich. Beim Check in stellte sich heraus, dass mein Kavalier aus dem Zug auch in unserer Reisegruppe war. Was für ein Zufall! Er reiste ebenfalls allein 🙂

Die Reise führte uns zunächst für eine Woche an den Sonnenstrand nach Slanchev, danach ein paar Tage ins Rilagebirge und zum Schluss in die bulgarischen Rhodopen nach Pamporovo. Wir waren gespannt! In der ersten Unterkunft gab es Dreibettzimmer – das passte gut, allerdings wieder mal Gemeinschaftsduschen für alle Urlaubsgäste der ganze Etage. War man ganz schnell, dann hatte man 1. warmes Wasser und musste 2. nicht anstehen.

Da ich mich in Slanchev schon bestens auskannte, zeigte ich Ina und Elke die ganze Bucht bis nach Nessebar. Meistens hatten wir einen „Schatten“ mit zwei Beinen dabei, der Süße aus dem Zug 😉 Aber wir waren nun mal zu dritt und verstanden uns prima, deshalb war er für uns tabu, es wär vielleicht sonst kompliziert geworden. Wir nahmen ihn in unserer Frauenrunde auf, gaben ihm den namen Burli und tolerierten großzügig seine fast ständige Präsenz – grins.

Gleich am zweiten Tag wagte ich „das mit dem Fallschirm“. Es war für uns relativ teuer, aber ich hatte es mir nun mal in den Kopf gesetzt es auszuprobieren. Wir guckten erst eine Weile zu. Keine einzige Frau war vor uns dran. Nach dem Bezahlen gab es für Ina und mich kein Zurück mehr. Elke wurde als Fotografin eingesetzt, um unsere mutige Tat bildlich zu dokumentieren. Die Sache lief folgendermaßen ab: Ich bekam eine Schwimmweste an und Gurte um den Körper geschnallt bzw. musste mit den Beinen hinein steigen.

7 001

8 001

Hinter meinem Rücken führten ein paar Seile zum Fallschirm, der von zwei Männern bis über ihre Köpfe hochgehalten wurde. Vorne an meinem Körper wurde das Seil mit Karabinerhaken in meinen Gurt eingehakt, das andere Ende des Seils lag als großer Haufen ein ganzes Stück vor mir in Richtung Meer und das Endstück ging von dort aus bis zu einem Motorboot, das am Strand startbereit wartete. Als ich vorschriftsmäßig von vorne und hinten angeseilt war, entfernte sich mein Seilermeister und ich stand ganz allein da, vor mir in Richtung Meer lag der Haufen Seil am Strand und das Boot im Wasser, hinter mir der hoch gehaltene Fallschirm, der sich im Wind leicht blähte. Dann fuhr das Boot los, zog das Seil hinter sich her und der Haufen wurde immer kleiner. Als sich das Seil vor mir straffte, musste ich unweigerlich ein paar Schritte mitspringen, dann spannten sich auch hinter mir die Seile und mit einem kräftigen Ruck wurde ich ziemlich schnell nach oben in die Luft gezogen.

9 001

Es nahm mir richtig den Atem, doch es war genial! Dann ging es raus auf`s Meer. Ich war ziemlich weit oben und unter mir sah ich Tretboote und andere Boote im Wasser. Ich hab es sehr genossen. Der Blick auf das Meer, den Sonnenstrand und die Bucht aus dieser Perspektive waren toll! Keine Ahnung, wie lange das Schweben da oben gedauert hat. Irgendwann stoppte der Motor des Bootes, ich schwebte nach unten und platschte unsanft ins Meer. Bevor das Boot kam und die Besatzung aus zwei braungebrannten Jungs mich und meinen Fallschirm aus dem Wasser fischten, hatte ich damit zu tun, meinen Badeanzug irgendwie zu richten. Er war durch den Sprung ins Wasser total verleiert und einige Körperteile, die besser bedeckt sein sollten, mussten schnell wieder mit Stoff bedeckt werden.

Auf jeden Fall war ich total begeistert und hätte es am liebsten gleich nochmal gemacht. Aber zwei Mal viel Geld ausgeben für das relativ kurze Vergnügen, fand ich dann doch nicht so gut.

Unser „Schatten“. Er war wirklich sehr nett. Wir konnten uns gut mit ihm unterhalten. Auch hatte er ein besonderes Talent, uns wunderbar die Sonnencreme einzumassieren, da hatte er echt ein Händchen dafür. Leider habe ich seinen Namen vergessen, vielleicht Jörg? Egal, wir nannten ihn ja sowieso nur noch „Burli“.

Manchmal wollten wir drei Mädels allerdings auch mal alleine los. Das hat ihm nicht so wirklich gefallen. Aber da musste er durch. Bei einem unserer kleinen Ausflüge zu dritt lernten wir zwei Autohändler aus Westdeutschland kennen. Sie stammten aber ursprünglich aus anderen Ländern, ich glaube der eine von ihnen war aus Jemen. Wir fanden das sehr exotisch und spannend. Natürlich war es für uns DDR-Bürger streng verboten, während einer Jugendtouristreise Kontakt zu Bürgern aus dem imperialistischen Ausland aufzunehmen. Schließlich war das ja unser Klassenfeind. Das war uns allerdings reichlich egal, als wir etwas später im weißen Golf Caprio der beiden saßen und uns durch Slanchev chauffieren ließen.

1 001

Dumm nur, dass uns jemand beim Reiseleiter verpetzt hat und wir uns dafür verantworten mussten. Wir versprachen ihm hoch und heilig, uns nicht mehr mit ihnen zu treffen und gingen noch am gleichen Abend, unartig wie wir waren, mit den beiden ins Casino, wo wir als DDR-Bürger sonst nie rein gekommen wären, wir hatten ja auch nicht die richtige Währung dafür. Diese Gelegenheit konnten wir jedenfalls unmöglich sausen lassen! Außerdem war es schon dunkel, als wir aufbrachen und im Casino würde ganz bestimmt keiner von unserer Gruppe sein, der uns verpetzen könnte. Ach, war das ein aufregender Abend! Vom VORHER möchte ich nur soviel schreiben, dass uns die Frage, was man in einem Casino anzieht, den ganzen Nachmittag lang sehr beschäftigte. Ich hatte mich letztendlich für einen rosafarbenen Overall (ROSA!!!) aus leichtem Jeansstoff entschieden, den ich mal abgelegt von einer Bekannten aus dem Westen geschickt bekommen hatte und den ich für mein Leben gerne trug. Mit breitem, schwarzen Gürtel aus Smokgummi und riesiger Schnalle vorne dran sowie unübersehbarem Modeschmuck, beides bei einer meiner letzten Reisen auf einem polnischen Markt erworben, hielt ich mein Outfit für geeignet.

4 001

Es gab eine Varieté-Vorstellung, Snacks, Sekt, Tanz und beim Roulett hatte ich richtig Glück. Es war eine vollkommen neue Welt, die wir erlebten. Wie im Rausch flogen die Stunden an uns vorbei. Keiner der anderen aus unserer Reisegruppe hat was mitgekriegt – zum Glück! Wahrscheinlich hätten wir unsere einem Bürger der DDR unangemessene Freizeitgestaltung wieder vor dem Reiseleiter verantworten müssen und eventuell nie wieder so eine Reise bekommen. Am Ende des Abends hatte ich richtig viel Geld -DM!!! gewonnen, also echtes Westgeld – mir war ganz schwindelig vor lauter Reichtum. Anfängerglück! Leider hatte ich nicht lange Vergnügen daran. Unsere beiden Begleiter haben es mir in Leva umgetauscht, ich glaube, sie hatten auch ein bisschen Schiss vor eventuellen Folgen. In einem Plattenladen in Sozopol erwarb ich dafür etliche Lizenzschallplatten und noch jede Menge Mitbringsel (Keramikzeugs, verzierte Holzkästchen, ein kleines Schlauchboot usw.) für Familie und Freunde. Die Schallplatten habe ich übrigens beim Rückflug unter einigen in der Reisegruppe verteilt und in Berlin wieder eingesammelt, damit ich keine Schwierigkeiten mit dem Zoll bekomme.

An einem anderen Tag nahmen die beiden Männer uns mit in ihr Hotel „Kuban“. Wir staunten über die Zimmer, die ein eigenes Bad, einen kleinen Kühlschrank mit Getränken und einen Balkon mit herrlichem Blick auf den Strand hatten – was für ein Luxus gegenüber unserer Unterkunft. Trotzdem fühlten wir uns unwohl. Irgendwie gehörten wir da nicht hin und verabschiedeten uns recht schnell wieder …

Das Abendessen nahmen wir immer in der Nähe unserer Unterkunft in einem Saal ein, der über zwei Etagen verfügte. In der Mitte befand sich eine Tanzfläche, außen herum waren die Tische zum Essen angeordnet. Über eine große Treppe gelangte man hoch auf eine Art Galerie, wo weitere Tische mit Blick auf die Tanzfläche standen. Im vorderen Bereich befand sich ein kleines Podest, auf dem eine Band abends für die Gäste Livemusik spielte. Zu den Mahlzeiten war der Saal immer voller Menschen. Die ältere Generation verbrachte den Abend oft dort bei der Tanzmusik der Band, wir gingen meist woanders hin.

An einem Nachmittag kamen Elke, Ina und ich zufällig an dem Saal vorbei und hörten Musik. Wir guckten mal nach und sahen die Band bei der Probe. Sie winkten uns herein. Wir konnten uns kaum verständigen, durften aber mal die Instrumente ausprobieren. Elke konnte Schlagzeug spielen und ich Gitarre. Ganz spontan spielten wir ein paar bekannte Songs, Bassist und Keyboarder passten sich uns an – es hörte sich gar nicht mal so schlecht an. Wir fanden das total aufregend und beschlossen am Abend zwei Stücke zu spielen, es aber vorher den anderen aus der Reisegruppe nicht zu verraten. Die Band war einverstanden. Wir einigten uns auf „As tears go by“ von den Rolling Stones für die junge Generation und „My bonnie is over the ocean“ zum Schunkeln für die älteren Leute. Den Rest des Tages waren wir total aufgeregt. Lampenfieber pur! Dann war da wieder mal die Frage, was wir anziehen sollten. Schließlich entschieden wir uns für die Marke „nix besonderes“ – eine sehr große Auswahl an Klamotten hatten wir eh nicht dabei. Zur Essenszeit strömten alle in den Saal. Wir hatten Herzklopfen ohne Ende und mussten so tun, als ob alles so ist wie immer. Als alle da waren, die Band sich unter den Blicken der Gäste langsam bereit machte und sich auf ihr Podest begab, sagte ich ganz forsch in unsere Runde: Wisst ihr was? Ich spiel heut auch mal in der Band mit. Elke sagte: Ich bin dabei. Alle lachten. Einer sagte: So seht ihr aus! Haha! Ich spielte erstmal beleidigte Leberwurst. Dann sagte ich: wetten? Und ein paar gingen darauf ein. Ein Teller ging herum und ein paar Leva sammelten sich darauf. Nun MUSSTEN wir spielen. Trotz des Lampenfiebers. Also gingen wir mit weichen Knien Richtung Band, die uns schon belustigt entgegen sahen. Wir taten so, als ob wir mit ihnen reden würden, sie nickten eifrig. (War alles vorher so ausgemacht worden) Als sich Elke hinter das Schlagzeug setzte und ich die Gitarre nahm, ist dann doch einigen der Kinnladen runter geklappt, weil wir tatsächlich ernst machten. Die hatten ja keine Ahnung, wie wir innerlich geschlottert haben. Von unserer heimlichen Probe am Nachmittag wussten sie natürlich auch nichts. Dann haben wir einfach losgelegt, erst „As tears go by“ und dann hat der ganze Saal mitgesungen und geschunkelt bei „My bonnie …“.

5 001

Schade, dass wir nur dieses eine Foto haben und wir sind gar nicht richtig zu erkennen. Egal. Auf jeden Fall hatten wir unseren Spaß und es war gar nicht so schlimm, dachten wir hinterher, als alles vorbei war und die Leute uns mit Beifall belohnten, ob ich mich ein paar Mal in der Aufregung verspielt hatte und ich eigentlich eher schlecht Gitarre spielen kann. Die Band hat uns dann eingeladen zur „Extra-für-uns-After-Show-Party“. Und das war das Beste an dem Abend.

6 001

Eigentlich schade, dass unsere Woche am Meer so schnell vorbei war.

Im Rilagebirge waren wir in einem schönen, aber recht abgelegenen Hotel untergebracht. Die Zimmer waren groß, viel Holz und – welch Glück – drei Betten drin! Unser „Schatten“ war nun wieder öfter um uns rum. Er war froh, dass wir wieder mehr Zeit mit ihm verbrachten. Im Gebirge war es sowieso gut, einen starken Beschützer zu haben, wo es da doch Bären und Wölfe gibt (wir haben aber keine gesehen oder gehört).

3 001

Wir wanderten bei herrlichem Wetter und im Rila-Kloster begegnete ich einem Mönch, der sehr gut deutsch sprach. Er fragte nach meiner Herkunft und er erzählte, dass er Thüringen gut kennt und eine Zeit lang in Schmalkalden verbracht haben. So ein Zufall! Wie ich auch, nur zu einer anderen Zeit.

Die letzte Station unserer Reise war Pamporovo. Wir hatten ein für unsere Verhältnisse tolles Hotel mitten in der Stadt, sogar mit eigenem Badezimmer. Das Hotel hatte allerdings einen Nachteil für uns Mädels: Es gab nur Zweibettzimmer. Elke und Ina nahmen natürlich eins zusammen, schließlich kannten sie sich schon ewig und hatten ja die Reise zusammen gebucht. Da man bei Jugendtourist keinen Anspruch auf Einzelzimmer hatte und auch keins verfügbar war, musste ich also ein Zimmer mit jemandem aus der Reisegruppe teilen. Es war nur eine weitere Person allein reisend – unser „Schatten“. Also teilte ich mir zwangsläufig mit unserem Burli ein Zimmer für die letzten drei Nächte.

Im Winter wäre es in Pamporovo mit seinen Skipisten bestimmt interessanter gewesen. Als wir mit dem Sessellift bis hinauf zum Fernsehturm auf dem Snejanka-Gipfel fuhren, stellte ich mir vor, wie die Piste unter mir im Winter vor lauter Skifahrern wimmeln würde.

Von der Aussichtsplattform des Fernsehturms konnten wir bis nach Griechenland gucken. Die Grenze nahm ich als gerodete Schneise durch den Wald wahr. Ich fand die Grenze sehr nah und nicht wirklich streng gesichert, so wie ich das von der Staatsgrenze der DDR her kannte. Aber vielleicht täuschte das auch. Jedenfalls konnte ich sagen, ich habe Griechenland gesehen (zumindest ein ganz kleines Eckchen davon). Also ehrlich gesagt, war ich total von den Socken, dass ich bis nach Griechenland gucken konnte. Das war für mich und einige andere aus der Reisegruppe etwas Besonderes!

Ein paar Monate später öffnete sich dann der „Eiserne Vorhang“ für uns, daran habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht zu glauben gewagt. Es war immer nur die heimliche Sehnsucht nach der Ferne da …

Die Tage in der Stadt waren trocken und heiß. Es gab keine Abkühlung und wir vermissten sehr das Schwarze Meer. Wenigstens gab es einen Springbrunnen …

2 001

Die Nächte in Pamporovo waren nicht weniger heiß. Aber das lag wohl eher an dem Zweibettzimmer und dem süßen „Schatten“ und so weiter … 😉

An die Dame mit den langen Fingern

Herzlichen Glückwunsch zu meiner Sonnenbrille! Sie hatten wirklich echtes Glück gehabt, dass ich sie neulich in der Klinik liegen gelassen habe. Natürlich wäre es absoluter Blödsinn gewesen, sie an der Rezeption abzugeben. Nein! Um Himmels willen! Wer macht denn sowas?

Tja – Sie waren nun mal schneller als ich – Pech, so spielt das Leben! Erst war ich ja ziemlich traurig und auch wütend. Die Sonne schien und ich brauchte die Brille dringend zum Autofahren, weil ich ohne Brille doch immerzu niesen muss, wissen Sie? Inzwischen sehe ich das anders. Bestimmt sind Sie eine ganz arme, bedürftige Person, die nicht genug Geld hat, sich eine eigene Sonnenbrille zu kaufen. Das tut mir sehr, sehr leid für Sie. Damit Sie nun kein schlechtes Gewissen mehr haben müssen, weil Sie die Sonnenbrille gestohlen haben, schlage ich Ihnen vor, dass ich sie Ihnen ganz einfach schenke – nachträglich natürlich. Behalten Sie meine Sonnenbrille und freuen Sie sich über mein schönes Geschenk! Immerhin ist es eine Polaroid! Zusätzlich möchte ich Ihnen auch noch das Brillenetui dazu schenken, denn was soll ich nun damit? Es gehört nun auch Ihnen. Ich brauch es nicht mehr. Ich fühle mich nun sehr gut, weil ich Ihnen bestimmt eine große Freude gemacht und die schwere Last des Diebstahls von Ihrer Seele genommen habe, stimmt`s? Ich hinterlege das Etui da, wo ich auch die Brille abgelegt hatte. Aber bitte schnell sein! Am Ende gibt es hier noch mehr langfingrige Damen … – oh oh!

Übrigens bekam ich diese Sonnenbrille mal in einem spontanen Anflug voller Dankbarkeit von einem Freund geschenkt, als ich ihm geholfen hatte, seine Wohnung in Ordnung zu bringen, damit er keinen Stress mit seiner Frau bekommt, die an diesem Tag von einer Reise zurück kam – verrückt, ne? Das ist nun fast zwei Jahre her – also hatte ich die Brille auch wirklich lange genug –  allerhöchste Zeit für eine Neue!

Ach ja, anbei noch ein paar exklusive Styling-Tipps für Sie:Hier auf dem Staffelberg, 20 Grad, Wind, die Frisur hält, die Sonnenbrille sitzt …

2015-04-26 14.13.58-1

Als Nächstes eine gewagte Kombination mit kleinen, roten Hörnchen beim AC/DC-Konzert in Nürnberg (letztes großes gemeinsames Event Ihrer Sonnenbrille mit mir – war total g…)

2015-05-08 17.12.00 - Kopie2015-03-20 14.49.01

Das letzte Foto hilft Ihnen, die Brille zu beschreiben, wenn Sie sie mal irgendwo liegen lassen – grins.

Wenn Sie weitere Geschenke benötigen, wenden Sie sich an mich. Gerne gebe ich Ihnen noch andere Dinge von mir ab.

Ganz liebe Grüße und alles Gute für Sie

12. November 1989 … und ein Trabiduft lag in der Luft

Es ist wieder Kirmes in Gleichamberg. Ich denke zurück, erinnere mich an die Kirmes vor 25 Jahren. Die Grenze nach „drüben“ war gerade geöffnet worden. Viele Menschen aus meinem Umfeld hatten die Gelegenheit schon genutzt und waren über den Eisfelder Grenzübergang mal schnell auf einen Abstecher in den Westen gefahren, nur mal zum Umgucken. Die Meisten sind dann wieder zurück gekommen. Manche auch nicht.

Klar war ich auch neugierig, hatte es aber nicht so eilig. Mein Papa hatte sich mit ein paar Männern aus dem Dorf ausgemacht: Sonntag sollte es im „Konvoi“ nach Rodach gehen. Abfahrt 4.00 Uhr.

4.00 Uhr !!! Verrückt, oder? Aber letztendlich musste ich mich fügen, wenn ich mit wollte, denn ich hatte ja kein eigenes Auto. Ich überlegte also, wie ich die Kirmes und diesen Ausflug in unser Nachbarbundesland Bayern unter einen Hut bringen konnte, schließlich wollte ich weder das Eine noch das Andere verpassen. Die frühe Abfahrtszeit hatten sie sich deshalb überlegt, weil sie glaubten, dass sie dann am Grenzübergang nicht all zu lange warten müssten. Ich ahnte schon, dass es eine laaaaaange und abenteuerliche Nacht für mich werden würde …

Den Kirmestanz empfand ich irgendwie anders als die Jahre vorher. Es lag so eine Spannung in der Luft. Das Hauptgesprächsthema war natürlich die Grenzöffnung. Manche konnten es noch gar nicht richtig glauben, andere berichteten schon von ihren ersten Touren nach dem Westen, vom Begrüßungsgeld und von den Menschen drüben. Naja, das stand mir ja noch alles bevor und ich war sehr gespannt darauf.

Irgendwann so zwischen 2.00 und 3.00 Uhr kam ich von der Kirmes heim. Im Badeofen war das Wasser noch warm, so dass ich mich duschen und den Qualm der Zigaretten und den Mief des Tanzsaals von mir abspülen konnte. Schließlich wollte ich einen ordentlichen Eindruck „drüben“ hinterlassen. Danach fühlte ich mich erfrischt und fit für Teil 2 dieser Nacht. Es war schon recht kalt an diesem Wochenende, also mummelte ich mich warm ein, denn wir wussten ja nicht, wie lange wir am Grenzübergang warten mussten bzw. wie wir die Zeit bis zum Tagesanbruch in Rodach verbringen würden.

Inzwischen war auch Papa aufgestanden. Er hatte (im Gegensatz zu mir) das Glück gehabt, wenigstens ein paar Stunden geschlafen zu haben. Er kochte Kaffee und wir dachten darüber nach, was wäre, wenn es unserer Obrigkeit plötzlich einfiele, die Grenzen doch wieder dicht zu machen. Dann wären wir im Westen und kämen nicht mehr heim! Man konnte ja nie wissen, was denen einfiel im Politbüro der DDR. Also packte ich vorsichtshalber das mir in meinem Leben Liebste und Wichtigste ins Auto: J1, damals 3 Jahre alt (J2 lag zu diesem Zeitpunkt noch als Quark im Schaufenster). Es war für ihn natürlich ein Abenteuer, als ich ihm erzählte, dass wir jetzt in den Westen fahren würden, über eine Grenze, mit unserem Trabi. Er fragte, warum die Oma nicht mit fährt und sein Opa Ur. Wir sagten ihm, dass die Oma und der Uropa auf das Haus aufpassen müssen, solange wir weg sind. Diese Antwort stellte ihn zufrieden.

In Wahrheit hatte Oma Angst, sie wollte gar nicht mit. Und „Opa Ur“ war schon oft genug „drüben“, er fand, dass jetzt erst mal wir dran wären. Oma hatte natürlich auch Angst um uns, aber wir waren nun nicht mehr zu halten. So nach und nach trafen die anderen mit ihren Trabis am Treffpunkt ein. „Lothar, du fährst vorne weg. Du kennst den Weg.“ sagte Nachbar Ed. Natürlich kannte Papa den Weg. Bis Eisfeld. Was allerdings nach dem Schlagbaum kam, da hatte er keinen Schimmer, woher denn auch. Aber er fügte sich in sein Schicksal und lotste unseren Trabi-Konvoi souverän über den Grenzübergang Eisfeld bis nach Rodach direkt vor das Rathaus mitten in dem kleinen Städtchen.

Wer allerdings denkt, dass wir in der frühen Stunde bei den ersten am Grenzübergang dabei waren, täuscht sich. Weit gefehlt! Am Grenzübergang reihten wir uns andächtig in die sich nur langsam vorwärts zuckelnde Rücklichterschlange ein. Wo die nur alle hin wollten? Hoffentlich nicht nach Rodach … So groß sollte der Ort dem Hörensagen nach nun auch wieder nicht sein … Ein bisschen komisch war uns allen zumute, als wir die Grenze passierten. Mein Adrenalinspiegel, der sich nach dem Kirmestanz gerade wieder auf Pegel normal eingespielt hatte, bekam nun einen erneuten Schub. Kurz nach dem Grenzübergang hielten wir erst einmal auf einem kleinen Parkplatz an. Wir stiegen aus unseren Trabi´s und standen auf bayrischem Boden.

Was fühlte ich in diesem Moment? Ergriffenheit, Euphorie, Unsicherheit, Angst, Glück? Ich horchte in mich hinein, versuchte das dominierende Gefühl in mir zu ergründen. Es gelang mir nicht. Die Gedanken überschlugen sich: Wie wird das alles weiter gehen? Was kommt jetzt als Nächstes? Mein Körper war hundemüde, mein Geist war hellwach – und ich war im Westen! Meine Nachbarin rüttelte mich an den Schultern: „Wir sind im Westen! Ich glaub das net! Wir sind im Westen!“

Naja, wenn man es ganz genau nimmt, waren wir ja eigentlich geografisch gesehen eher Richtung Osten gefahren und trotzdem im „Westen“ raus gekommen. Das liegt daran, dass wir in unserem Heldburger Unterland quasi vom „Westen“ fast umzingelt waren. Das muss man sich mal vorstellen! Von drei Seiten Klassenfeind – lach!

Nach kurzem Einatmen westlicher Luft, sozusagen „Aklimatisierung“, ging die Fahrt, Lothar weiterhin vorne dran, weil er sich ja auskannte ;-), nach Rodach weiter, wo wir, wie bereits erwähnt, vor dem Rathaus parkten. Papa`s schnuckliger, hellblauer Trabi, den er übrigens wie seinen Augapfel hütete, wie ein Baby pflegte und den ich nur unter Aufsicht und in Notsituationen fahren durfte, stand genau da, wo sonst der Dienstwagen des Rodacher Bürgermeisters parkt. Das erzählte uns später ein Anwohner.

rODACH 001

Während ich mich auf dem Rücksitz meinen Gedanken hingab und dabei irgendwann mit J1 im Arm in der von unserer Standheizung erzeugten wohligen Wärme erschöpft vom Kirmestanz und dem frühen Aufbruch einschlief, machte sich Papa auf den Weg in eine Telefonzelle. Dort blätterte er im Telefonbuch und fand schnell die Adresse seines ehemaligen Kumpels aus Jugendtagen. Er wollte ihn unbedingt besuchen.

Endlich wurde es Tag. Die Scheiben des Autos waren ganz beschlagen von unserer Atemluft und ich musste mir erst mal ein Guckloch frei wischen. Irgendwie fühlte ich mich wie durch die Mangel gedreht nach der langen Nacht. Es sträubte sich alles in mir, jetzt aus dem schönen warmen Auto in die Eiseskälte auszusteigen, aber inzwischen hatte das Amt geöffnet und man konnte sich für das Begrüßungsgeld anstellen.

Das Begrüßungsgeld! Mir war das sowas von peinlich! Als berufstätige Frau, als eine in Vollzeit beschäftigte Angestellte, als eine finanziell vollkommen unabhängige und emanzipierte Mutter, empfand ich es als sehr unangenehm, Geld zu bekommen, ohne eine Leistung dafür zu erbringen. Trotzdem habe ich mich angestellt. Alle haben sich angestellt. Auch die, die immer gegen den Westen schwadroniert haben. Und ich möchte wetten, die hatten weniger Skrupel als ich. Ich hoffte sehr, dass mir niemand Bekanntes begegnen würde. Das Schlange stehen waren wir ja gewöhnt, aber damals kam ich mir vor wie eine Bettlerin. Dabei wollte ich von dem Geld nur für meinen Junior Sachen kaufen, die ich bei uns einfach nicht bekam. Letztendlich kaufte ich gar nichts, weil mir sogar das Einkaufen peinlich gewesen wäre, denn jede Verkäuferin wusste ja, woher das Geld kam.

Wir besuchten dann den Jugendfreund meines Vaters, es gab ein großes Hallo und eine Tafel Schokolade für Junior. Etwas später traf sich unsere Konvoi-Besatzung in einem Restaurant, studierte die Speisekarte, bestellte dann leicht irritiert angesichts der ungewohnten Preise doch nur ein Getränk und aß anschließend einen Teller leckerer Erbsensuppe, die es aus einem Kübel auf dem Rodacher Marktplatz, von freiwilligen Helfern verteilt, kostenlos für die Besucher aus dem Osten gab.

Rodach 2 001

Wo wir auch hin gingen, alle Rodacher begegneten uns sehr herzlich und hilfsbereit. Heute frag ich mich, wie sie diese „Invasion“ und den Gestank der vielen Trabis ertragen haben. Wir waren das ja gewöhnt, haben es nicht mal mehr wahr genommen. Ihnen schien es zumindest an diesem Sonntag im November nichts auszumachen.

Wir fuhren erst gegen Mittag wieder zurück. Die Grenze war immer noch auf 😉

Ich konnte nun auch ein kleines bisschen mitreden über den „Westen“, hatte die ersten DM-Scheinchen in meiner Tasche, die ich nie ausgeben würde (dachte ich jedenfalls am Anfang, etwas später kleidetet ich meinen Knirps doch noch neu ein – allerdings über ein Versandhaus) und hatte nur noch einen sehnlichen Wunsch: Endlich SCHLAFEN