KRIMI total „Der Hanf des Verderbens“

Eigentlich hatte ich einen schlechten Tag und der Tag davor war auch schlecht. Ich wollte mich schon abmelden, doch damit wäre unser geplantes Krimi-Dinner ins Wasser gefallen. Schwierig, so kurzfristig einen Ersatz zu finden. Also raffte ich mich mühsam auf und versuchte mich in meine Rolle hinein zu denken. Das Thema: Hippiekommune, Ende der 60er Jahre. Ich: „Adelheid, 32, der lebende Beweis, dass Sex, Drugs and Rock`n Roll der Schönheit förderlich sind“. Haha, bei dieser miesen Stimmung! In meiner Rollenbeschreibung stand, dass ich nicht auf den typischen Hippieschlabberlook stehe, sondern sexy Klamotten im floralen Design trage. Hm, eine Herausforderung! Während ich Sauerkrautbrötchen und Zupfbrot zubereitete (jeder sollte was mitbringen), wühlte ich gedanklich schon mal meine Garderobe durch, etwas später praktisch. Es dauerte nicht lang und im ganzen Zimmer verstreut lagen irgendwelche Klamotten rum. Die Auswahl an Sachen im floralen Design + sexy war nicht wirklich ergiebig und in Unterwäsche konnte ich ja nun weißgott nicht zur Krimiparty aufkreuzen. Schließlich entschied ich mich für ein Kleid, dass zumindest annähernd in die Richtung „floral“ ging und mir gerade noch so passte. Den Saum raffte ich über dem Knie etwas nach oben – fertig. Auf der Wiese hinter dem Garten hatte ich Blumen für meine Haare gepflückt und mit ganz viel Schminke im Gesicht identifizierte ich mich so langsam mit meiner Rolle  – Adelheid guckte mir aus dem Spiegel entgegen.

Adelheid aus der Hippiekommune

Es war ein wunderschöner Abend! Unsere lockere, bunt zusammengewürfelte Gruppe hatte ein gemütliches Plätzchen unter einem alten Baum im Hof des Schlosses von Weitersroda gefunden und nach ein paar Spielrunden den Mordfall, der auf der Insel der Hippiekommune passiert war, gelöst. Es war lustig und wir waren alle echt gut drauf. Meine schlechte Laune war wie weggeblasen und wir verabschiedeten uns in Vorfreude auf den nächsten „Kriminalfall“.

Die anstrengende Arbeitswoche verlangte so allmählich ihren Tribut. Ich war müde und wollte nur noch heim in mein Bett und schlafen. Chris und Grit fuhren vor mir im Auto und ich musste schmunzeln, wenn ich an so manche lustige Situation des Abends dachte, an die coolen Outfit´s der Anderen, die Kommentare …  Nur jetzt nicht einschlafen beim Fahren, ein paar Minuten durchhalten noch, dann …

Plötzlich sah ich dieses Licht vor mir, dass sich auf und ab bewegte. Also ich hatte definitiv keinen Alkohol intus! Die Rücklichter des Autos von Chris waren plötzlich verschwunden. Es liefen Menschen auf der Straße herum. Was machen die da mitten in der Nacht? Oh, Polizei! Auch das noch! Ich musste anhalten und ließ auf das Handzeichen eines Polizeibeamten hin meine Scheibe herrunter.

„Guten Abend, Fahrscheinkontrolle. Ihre Fahrzeugpapiere mal bitte.“

„Och, nö, oder? Warum denn? Hab ich was falsch gemacht?“

„Geben Sie mir einfach nur ihre Fahrzeugpapiere.“

Umständlich kramte ich diese aus meiner bodenlos scheinenden Handtasche heraus und gab sie (leicht genervt) an den Beamten weiter. Haben die denn um diese Zeit nichts Besseres zu tun, ich war doch so müde und wollte einfach nur schnell heim. Neben dem Polizisten stand noch einer. Waren da nicht vorhin drei Polizisten? Wohin ist denn der Dritte plötzlich verschwunden? Wissen die etwa schon, was passiert war? Ich kam gar nicht dazu, mir darüber weiter den Kopf zu zerbrechen, als ich bemerkte, wie der erste Polizist meine Papiere an den anderen weiter gab. Vielleicht hatte er seine Brille nicht dabei oder ihm gefiel mein Passbild nicht … Er musterte mich interessiert und hatte scheinbar vor, sich noch ein bisschen mit mir zu unterhalten. Seufz! Sieht er denn nicht, dass ich müde bin? Doch ich musste ihm antworten, es fiel mir spontan keine Alternative ein.

„Was haben sie denn heut Abend getrunken?“

„Ach, alles Mögliche, bunt durcheinander. Aber keinen Alkohol, falls Sie das meinen. Unsere Kommune hat dem Alkohol total abgeschworen, müssen Sie wissen.“

„Kommune?“

„Na, ich komme doch drüben von der Insel. Wir leben dort schon seit über drei Jahren in einer Kommune zusammen. Jetzt sagen Sie bloß, Sie wissen das nicht? Ist doch schließlich Ihr Revier hier, oder?“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Hier gibt es keine Insel. Geht es Ihnen gut?“

„Na klar geht’s mir gut. Bis eben zumindest war ich richtig gut drauf. Okay,  im Moment könnte es besser sein. Also eigentlich geht’s mir NICHT wirklich gut. Ich bin hundemüde und will heim ins Bett. Ich hatte die letzten Nächte nur wenig Schlaf. Der Abend heute war auch lang, Mitternacht ist schon vorbei, mir wird langsam kalt und dann dieser Mord … Die ganze Hanfernte wurde uns auch noch geklaut. Außerdem wollte José nicht mit mir nach Ibiza fliehen, der Scheißkerl …“ (Ach, guck an, da war ja plötzlich auch der dritte Polizist wieder und guckte mich genauso irritiert an, wie die beiden anderen. Haben die was? Gefallen ihnen meine Blumen im Haar nicht oder ist es wegen der vielen Schminke, die ich nicht wirklich professionell aufgetragen habe (wäre nur Johanna da gewesen, die kann so schön schminken …).  Ich vermutete, die sind total übermüdet, überarbeitet oder sie langweilen sich und wollen mir ein Gespräch aufdrängen. Mehr Möglichkeiten fielen mir gerade nicht ein. Am besten ich sage alles, was ich weiß, dann lassen sie mich ziehen, dachte ich. Immerhin war ich unschuldig.

„Wo ist denn jemand gewaltsam zu Tode gekommen?“

„Hab ich das etwa behauptet? Ach ja, hab ich. Also gut: Die Proble-Muschi hat´s erwischt. Ähhhm, die Problem-Uschi natürlich. Aber ehrlich gesagt, es stört mich nicht. Die alte Schlampe hat sich an meinen Knackarsch-Josè ran gemacht, mit dem ich abhauen wollte. Das ist die gerechte Strafe des Mondgottes Chandra, das sage ich Ihnen!“

„Steigen Sie doch bitte mal aus dem Wagen. Wir machen jetzt eine Alkoholkontrolle und …“

„Nein, ich steig nicht aus. Dazu sehe ich beim besten Willen keine Veranlassung! Ich bin müde, meine Beine sind kalt und ich habe definitiv keinen Alkohol getrunken. Glauben Sie mir doch einfach! Nach Blasen ist mir auch nicht und auf ein weiteres Gespräch mit Ihnen hab ich erst recht keine Lust. Mit dem Mord an Muschi, äh, Uschi hab ich nichts zu tun. Fahrt doch rüber in den Schlosshof. Sie liegt auf dem Komposthaufen, ihr Arm ist ganz grün und hängt über den Rand hinaus.“

„Haben Sie Drogen zu sich genommen?“

„Ha, schön wär`s. Brauchen Sie etwa auch was? Da haben sie leider Pech! Die ganze Hanfernte ist weg. Kein Gras übrig. So ein Jammer! Ich steh ja selbst auf dem Schlauch, verdammt noch mal. Was soll ich da noch auf der Insel, ich will da weg und Sie hindern mich daran! Kümmern Sie sich doch um andere Angelegenheiten! Oder reden Sie mal mit Hanf-Dieter, ja, genau, das sollten Sie tun! Oh, Chandra, Mondgott, ich flehe dich an und opfere dir gerne meinen nächsten Joint, wenn die die drei jetzt endlich mit der blöden Fragerei aufhören und mich heimfahren lassen!“

„Wer hat denn Uschi angeblich umgebracht?“

„Ich weiß, wer es war. Wir haben es ja raus gekriegt! Oder was glauben Sie, haben wir den ganzen Abend lang gemacht? Allerdings hab ich vergessen, wer der Mörder war, unwichtig für mich. Muschi hat´s nicht besser verdient. Aber das mit dem Hanf ist echt Mist ☹ Ein Jahr Arbeit für die Katz! Ich muss jetzt aber wirklich heim, geben Sie mir bitte wieder meine Papiere!“

„Wir fahren jetzt erst einmal gemeinsam auf die Polizeiinspektion Hildburghausen, nehmen Ihre Personalien für das Protokoll auf und überprüfen Ihre Behauptungen. Außerdem scheinen Sie sehr verwirrt zu sein und brauchen dringend ärztliche Hilfe.“

„Ich bin nicht verwirrt, ich bin nur müde. Verstehen Sie, MÜDE! Hilfe brauch ich auch nicht, außer, wenn Sie mir einen Flug nach Ibiza spendieren. Wozu hab ich heimlich Spanisch gelernt, verdammt noch mal! Obwohl, nach Australien würde ich noch viel lieber fliegen, Hauptsache weit weg. Ich frag mal Dreamcatcher, ob er noch eine Reisebegleitung braucht. Und überhaupt: ich bin unschuldig. Hallo, was soll das? Also ich darf doch bitten! Nehmen Sie Ihre Hände weg! NEIN! Loslassen! Drei gegen eine, wo gibt`s denn sowas? Das ist unfair! Handschellen? Sie übertreiben, das ist Freiheitsberaubung! Chandra, CHANDRAAAA. wo bist du, wenn man dich braucht, du alter, verkiffter Penner? Hilf mir! Lassen Sie mich sofort los! HILFE! …“

Ich erwachte von meinem eigenen Schrei. In meinem eigenen Bett. Draußen dämmerte es bereits und ich hatte immer noch die Sachen von gestern an – grins. Krimi-Dinner-Party 😉

Schlaflos in Seattle – äh, in Morsleben

Also „Schlaflos in Morsleben“ ohne Tom Hanks 😉

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Morsleben liegt nicht mal in der Nähe von Seattle. Im Grund genommen sehr weit weg davon und sehr wahrscheinlich gibt es auch nicht wirklich viel Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Orten. Dass es für mich eine (fast) schlaflose Nacht (natürlich ohne Tom Hanks) in diesem kleinen Dorf in der Börde werden würde, ahnte ich natürlich nicht, als ich mein Auto vor dem wunderschön hergerichteten Bauernhaus abstellte.

Das Zimmer gefiel mir. Ich brauchte es zwar nur für eine Nacht, hatte aber nichts gegen eine gewisse Wohlfühlatmosphäre einzuwenden. Gegenüber der Tür ließen zwei Fenster Richtung Innenhof viel Licht in den Raum. Links stand mein Bett, rechts ein Sofa, in der Mitte ein Tisch mit Stühlen, dahinter ein Sideboard mit TV – also ein ziemlich großzügiges Zimmer. Rechts neben der Tür war ein Teil des Raumes abgetrennt für Dusche und WC, neu und modern. Prima!

Viel Gepäck hatte ich nicht mit rein genommen, meinen kleinen Rucksack mit den Dingen, die ich auf Reisen immer mit mir rum schleppe sowie eine Tasche mit den Kleidungsstücken für morgen und mit meinem Waschzeug. Ich hatte mir vorgenommen, nicht all zu spät ins Bett zu gehen, denn für den nächsten Morgen hatte ich mich zu einer Besichtigung des Endlagers Morsleben angemeldet und schon für halb sieben das Frühstück bestellt.

Das nette Ehepaar, das die Pension betreibt, hat weiter hinten im Garten einen gemütlichen Bungalow, da saß ich dann noch eine ganze Weile auf ihre freundliche Einladung hin mit den beiden zusammen und wir unterhielten uns sehr angeregt. Zufällig stammte die Frau aus meiner Gegend und freute sich, mal wieder ihre Mundart zu hören.

Es war so gegen 22.30 Uhr, als ich dann endlich in meinem wirklich gemütlichen Bett lag. Der Wecker in meinem Handy war auf 6.10 Uhr gestellt, meine Sachen lagen bereit, ich konnte beruhigt einschlafen. Jetzt machte sich auch die lange Autofahrt bemerkbar, sie hatte mich doch ziemlich erschöpft und mir fielen schnell die Augen zu.

Um halb zwei wachte ich auf, weil ich glaubte, etwas gehört zu haben. Ich lauschte in die Dunkelheit und hörte – nichts. Scheinbar hatte ich geträumt. Immerhin war ich nicht mal sicher, was genau ich gehört hatte. Gerade als ich noch so ein bisschen darüber nachdachte und schon fast wieder am Wegdämmern war, ertönte ziemlich vernehmlich ein Piepton, laut und deutlich. Na also, doch nicht geträumt!

Plötzlich hellwach schaltete ich die Nachttischlampe an und guckte mich um. Was war das? Mein Handy? So ein Ton kam da bisher eigentlich noch nicht raus, aber man kann ja nie wissen … Am Handy war alles wie immer, stellte ich nach kurzer Besichtigung fest. Vorsichtshalber guckte ich nochmal nach der Weckzeit, auch perfekt! Ich saß im Bett und hoffte, dass es noch einmal piepsen würde, damit ich die Richtung des Tones lokalisieren und ihn ausschalten konnte. Es blieb ruhig. Keine Ahnung, wie lang ich da auf der Bettkante saß und lauschte. Zwischendurch kippte ich ein paar Mal leicht ab, als mich die Müdigkeit übermannte, fing mich aber dann gleich wieder, um angestrengt weiter zu horchen, aber nichts rührte sich mehr. Es war vorbei. Ich knipste die Nachttischlampe aus, kuschelte mich unter meine Decke und war froh, meine Ruhe zu haben.

Genau in diesem Moment piepste es wieder! Sofort sprang ich aus dem Bett, machte diesmal die Deckenbeleuchtung an und blieb mit dem Rücken zur Tür stehen, um das ganze Zimmer überblicken zu können. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht dahinter käme, wo sich dieser Piepser versteckt hat. Systematisch suchte ich sehr gründlich Wände, Decke, Fußboden und sämtliche Möbelstücke nach dieser eigenartigen Geräuschquelle ab, konnte aber nichts Auffälliges feststellen. An der Decke hing nur die Lampe, an den Wänden war nichts Auffälliges und vom Boden her schien mir das Geräusch eh nicht her zu kommen. Dann schlich ich mit gespitzten Ohren um den Tisch herum. Und da piepste es wieder! Genau, das Piepsen kam eindeutig vom Tisch her! Meine ganze Aufmerksamkeit galt nun diesem Möbelstück. Ich fühlte ihn ab und kroch darunter, guckte mir die Tischplatte von unten an – fand erstmal nichts. Doch so schnell gebe ich nicht auf! Da lag ja so Einiges von mir herum.

Es half nur eins: auspacken, was ich bei mir hatte und möglicherweise Töne von sich geben könnte (oder auch nicht). Innerlich stöhnte ich kurz genervt auf, war dann aber voll motiviert und fest überzeugt, den Piepser nun zu finden.

Ich packte in meiner Verzweiflung einfach ALLES aus. Zum Glück war es ja nicht so viel, das Meiste hatte ich ja im Auto gelassen. Nach kurzer Zeit lagen auf der einen Seite des Tisches Fotoapparat, Ladegerät für Handy, mobiles Handyladegerät, Fön, elektrische Zahnbürste, Selfie stick, Feuerzeug, Ladegerät für Akkus vom Fotoapparat, sämtliche Akkus, Ersatz-Bluetooth-Auslöser, Fernbedienung vom Fernseher. Auf der anderen Seite: Geldbeutel, Fahrzeugpapiere, Autoschlüssel, Labello, noch ein Labello, Tempotaschentücher, Sonnenbrille, Lesebrille, mein Buch, Haargummi, Kaugummi, Schminktäschchen, Brillenputztuch, SD-Karte, Kuli, Notizblock, Haarreifen, Deoroller. Ich guckte auch ins Bad, aber da stand nur mein Waschzeug rum und nichts, was eventuell piepsen könnte, außer der Zahnbürste und die hatte ich schon zu Kontrollzwecken auf dem Tisch platziert.

Ich nahm mir jedes einzelne Teil genau vor, schüttelte meinen Rucksack und die Tasche noch mal aus, kontrollierte auch die Hosentaschen meiner Jeans. Meine Füße wurden kalt, weil ich barfuß rum lief. Da fiel mir ein, dass ich mich vielleicht doch verhört hatte und das Piepsen von draußen herein gekommen ist. Also schloss ich vorsorglich das Fenster, obwohl ich gar nicht gerne bei geschlossenem Fenster schlafe.

Es hatte nun schon eine ganze Weile nicht mehr gepiepst. Sehr komisch! Erst kurz hintereinander, dann eine Weile wieder nichts und man denkt, es ist vorbei …Ich war hundemüde und wollte doch nur eins: endlich weiter schlafen. Mit der Hoffnung auf wenigstens noch ein bisschen Nachtruhe legte ich mich wieder hin. Tatsächlich schlief ich ein. Kurz. Bis es wieder piepste.

Naja, egal, ich wollte sowieso aufstehen, um das Fenster wieder zu öffnen. Ratlos untersuchte ich auch noch das Fernsehgerät von allen Seiten und zog den Stecker heraus.  Als ich zum Bett zurückging, fiel mein Blick auf den Autoschlüssel. War das etwa die Nervensäge? Da muss ja irgendwas drin sein, sonst würde ja die Fernbedienung am Auto nicht funktionieren. Vielleicht eine Monozelle oder sowas. Keine Ahnung. Das muss ich unbedingt mal recherchieren … Sollte ich vielleicht vorsichtshalber mal nach meinem Auto gucken? Guter Gedanke. Ich schlich mich also barfuß im Shorty raus vor die Haustür, bediente zweimal die Fernbedienung: Türen auf, Türen zu – stellte fest, dass alles normal funktionierte und schaffte es grade so zurück ins Haus, bevor die Haustür ins Schloss fiel und mich ausgesperrt hätte. Na das hätte mir noch gefehlt! Den Zimmerschlüssel, der gleichzeitig zum Öffnen der Haustür diente, hatte ich nämlich vor lauter Schusseligkeit im Zimmer liegen gelassen.

Inzwischen wurde es draußen schon langsam hell. Ich war sowas von müde und überlegte, welche Optionen mir jetzt noch blieben. Das Ehepaar anrufen ging nicht, denn ich hatte nur die Nummer der Pension und das Telefon stand neben Haustür am Empfang, während sie vermutlich eine Etage über mir wohnten und selig schliefen. Eine Handynummer hatte ich nicht von ihnen. Ich zog kurzzeitig in Erwägung, im Frühstücksraum auf einem Stuhl weiter zu schlafen oder auf dem Billardtisch und musste über mich selbst lachen. Es waren auch noch andere Gäste im Haus, doch was würde das für einen Eindruck machen, wenn ich mitten in der Nacht um Asyl nachfragte? Also irgendwie kamen alle Möglichkeiten nicht in Frage. Da stand ich nun in meinem Zimmer und mir fiel nichts Besseres ein, als alle meine Sachen, die auf dem Tisch lagen, nebst Klamotten, dem Handy, der Fernbedienung für den Fernseher, dem leeren Rucksack, der Tasche, dem Autoschlüssel und den Turnschuhen ins Bad auf den Fußboden unter das Waschbecken zu legen, mit der Decke und ein paar Kissen vom Sofa zuzudecken und die Badtür zu schließen. Wenn sich der Piepser eventuell doch zischen meinen Sachen befand, dann würde ich ihn jetzt nur noch sehr gedämpft wahrnehmen oder gar nicht mehr. Haha, ich lass mich doch nicht von so einem Piepser unterkriegen! Wo kommen wir denn da hin? Mir reicht es nämlich jetzt, so! Verbannung ins Bad – da kann das Ding sich dumm und dämlich piepsen. Also vorsichtshalber guckte ich aber doch nochmal unter das Bett …

Mit einem Handtuch ausgerüstet, total fix und alle, mit immer noch kalten und inzwischen auch schmutzigen Füßen kroch ich, zu 50% entschlossen, zu 50% der Verzweiflung nahe, unter meine Decke. Das Handtuch legte ich mir über die Augen, um meinem Bewusstsein vorzuschwindeln, dass es noch dunkle Nacht sei (leider war es mittlerweile schon glockenhell draußen). Viel Zeit blieb mir nicht mehr. Zwei Piepser ertönten noch in kurzen Abständen hintereinander. Es klang fast schon ein bisschen hämisch oder bildete ich mir das nur ein? Ich hatte nur noch ein gequältes Seufzen übrig und konnte mich nicht entscheiden, ob ich lachen, weinen, verrückt werden oder es einfach ignorieren sollte. Ich wollte es mit dem Letzteren probieren, einfach ignorieren. Da auch das Nichthinhören auf die Dauer unheimlich anstrengend und ermüdend sein kann, wirkte es dementsprechend. Im Halbschlaf gingen mir ganz sonderbare Gedanken durch den Kopf: Psychoterror, Stasigefängnisse, Folter, versteckte Kameras, Strahlungen aus der Deponie, blutrünstige Insekten – ich lese eindeutig zu viele Romane oder meine Fantasie ging mit mir durch in Anbetracht der Lage!

Irgendwann bin ich tatsächlich eingeschlafen. So fest, dass ich nichts mehr gehört habe oder es kam tatsächlich kein Geräusch mehr, ich weiß es nicht. Jedenfalls hatte ich einen sehr realistischen Traum gehabt: es war früher Morgen. Eine fremde Frau und meine Nichte waren im Zimmer und ich erzählte ihnen gerade haargenau das, was ich in dieser Nacht durchgemacht hatte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass im Traum die Tür vom Badezimmer an einer anderen Stelle war. Sonst war alles genau gleich. Die beiden glaubten mir nicht. Das regte mich auf. Mitten in meinem Bericht piepste es wieder, immerzu hintereinander. Es wollte gar nicht mehr aufhören. Davon wurde ich wach und stellte fest, dass es nicht im Traum piepste, sondern in Wirklichkeit – ach so, der Wecker von meinem Handy. Was denn, schon aufstehen? Und wieso liegt ein Handtuch auf dem Kopfkissen? Also ich mag nicht gerne mitten im Traum geweckt werden, schon gar nicht wenn er so realistisch ist. Andererseits hatte ich was vor und musste raus, in zwanzig Minuten hatte ich mein Frühstück bestellt. Ich musste kurz darüber nachdenken, was man doch für einen Schwachsinn träumen kann. Irgendwie fühlte ich mich noch total müde. Ich wollte den Weckton abschalten, fand aber das Handy gar nicht. Nanu? Ich hatte es doch gestern Abend neben das Bett gelegt? Der Weckton kam irgendwie so gedämpft bei mir an. Hatte ich das Handy etwa im Bad liegen gelassen? Ich tappte verschlafen und gähnend ins Bad.

Da traf mich fast der Schlag. Unter dem Waschbecken – die Sofadecke und die Kissen, darunter mein ganzer Krimskrams, dazwischen irgendwo mein Handy. Mir wurde heiß und kalt, weil ich Traum und Realität kaum noch auseinanderhalten konnte. Ist das die Grenze zum Durchdrehen? Gerade als mir bewusst wurde, dass mein Traum die fiktive Fortsetzung der Realität gewesen ist und ich darüber nachgrübelte, wie sowas denn möglich sein kann, piepste es wieder. In Wirklichkeit! Und nicht aus meinem Handy. In einem Comic hätte der Zeichner seiner Figur wohl an dieser Stelle die Haare zu Berge stehen lassen.

Bei Tageslicht wirkte der Ton längst nicht mehr so extrem schrill wie nachts und tatsächlich entdeckte ich endlich das Corpus Delicti an der Decke genau über der Tür. Ein Rauchmelder! Oh Mann! Kein Wunder, dass ich ihn in der Nacht nicht sehen konnte, denn da hatte ich das Teil ja hinter mir, als ich mit dem Rücken zur Tür das Zimmer inspizierte. Gehört so ein Teil nicht in die Mitte des Raumes? Naja, das war mir ja nun auch egal, die Nacht war rum. Vermutlich waren die Batterien darin leer, ich würde es nachher den Leuten sagen und sie würden sich darum kümmern.

Irgendwie war ich echt beruhigt, dass es nur der Rauchmelder war und dass ich nun erleichtert und belustigt darüber lachen konnte. Die nächste Nacht würde ich bestimmt ganz früh ins Bett gehen und den verpassten Schlaf nachholen … oder die übernächste Nacht. Eine ganze Woche Urlaub zum Ausschlafen lag ja noch vor mir.