Auszeit

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Heut war so ein richtig schöner Tag. Wie schade, dass ich erst so spät heim kam und von der Sonne nicht mehr wirklich viel hatte. Die Liege steht noch hinten im Garten, ich pflückte mir ein paar Trauben, machte es mir auf ihr gemütlich und träumte mich ans Meer. Ist das wirklich schon wieder vier Wochen her?

Genau wie im letzten Jahr hatte ich mir eine Woche Auszeit genommen und war an die Ostsee gefahren. Matratze und Schlafsack im Auto, Klamotten, was zu Essen und Trinken …

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Die Tage verbrachte ich am Strand. Das Wetter war perfekt. Ich hatte mir nichts vorgenommen, wollte nur in den Tag hinein leben, Sonne, Wasser, Luft und Freiheit genießen. Abschalten. In meinen Romanen versinken. Schlafen. Es ist schön, am Strand zu schlafen, wenn das Meer rauscht und ein leichter Wind weht.

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Manchmal schaute ich den Volleyballspielern zu, ihre Stimmen konnte ich aber nicht hören, dazu waren sie zu weit weg. Ich war ziemlich faul im Gegensatz zu ihnen und mein Bewegungsdrang hielt sich eher in Grenzen. Genau genommen beschränkte er sich auf ab und zu etwas Schwimmen, gelegentlich sehr gemütlich am Strand auf und ab laufen und bei Bedarf die Position auf meiner Badematte wechseln.

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Manchmal konnte ich mich aufraffen, ein paar Fotos zu machen von den Möwen, in der Ferne vorbeiziehenden Schiffen und am liebsten von den wunderschönen Sonnenuntergängen und Abendstimmungen am Meer. Die habe ich besonders genossen.

Der Strand war wunderbar ruhig. Wenn neue Strandbesucher dazu kamen, dann achteten sie auf Abstand zu den anderen, die schon da waren. Man grüßte sich, lernte sich gelegentlich kennen, wechselte ein paar freundliche Worte, hatte einen Blick auf die Sachen, wenn die anderen Baden waren und verabschiedete sich am Abend. Ich empfand die Atmosphäre entspannt und fast familiär. Manche Leute hatten sich einen Windschutz oder eine Strandmuschel aufgestellt. Ich hatte nur einen Regenschirm. Wenn die Sonne gar zu toll schien, dann war er mein Sonnendach. Ein ganzes Stück weiter vorne, am Textilstrand, gab es Strandkörbe. Um nichts in der Welt hätte ich tauschen mögen, denn dort waren sehr viele Menschen, es war laut und bunt und roch nach Sonnenschutz und nicht nach Meer.

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Erst wenn die Sonne schon längst unter gegangen war und die Dämmerung eingesetzt hatte, raffte ich meine sieben Sachen zusammen und genehmigte mir noch einen Radler in der Klause. Dann duschte ich und bis ich auf dem Parkplatz an meinem Auto ankam, war es meist schon 23.00 Uhr und alles rundherum stockfinster. Am ersten Abend leuchtete ich mir noch den Weg mit der Taschenlampe am Handy, am zweiten fand ich ihn im Dunkeln. Dann kroch ich in mein Auto und konnte dank der milden Temperaturen mit geöffneter Autotür schlafen.

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Die Woche verflog nur so. Ein paar Tage Urlaub habe ich noch in diesem Jahr. Die Matratze und der Schlafsack liegen immer noch im Auto. Wer weiß, vielleicht packt mich das Ostseefieber ja noch einmal …

Schlaflos in Seattle – äh, in Morsleben

Also „Schlaflos in Morsleben“ ohne Tom Hanks 😉

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Morsleben liegt nicht mal in der Nähe von Seattle. Im Grund genommen sehr weit weg davon und sehr wahrscheinlich gibt es auch nicht wirklich viel Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Orten. Dass es für mich eine (fast) schlaflose Nacht (natürlich ohne Tom Hanks) in diesem kleinen Dorf in der Börde werden würde, ahnte ich natürlich nicht, als ich mein Auto vor dem wunderschön hergerichteten Bauernhaus abstellte.

Das Zimmer gefiel mir. Ich brauchte es zwar nur für eine Nacht, hatte aber nichts gegen eine gewisse Wohlfühlatmosphäre einzuwenden. Gegenüber der Tür ließen zwei Fenster Richtung Innenhof viel Licht in den Raum. Links stand mein Bett, rechts ein Sofa, in der Mitte ein Tisch mit Stühlen, dahinter ein Sideboard mit TV – also ein ziemlich großzügiges Zimmer. Rechts neben der Tür war ein Teil des Raumes abgetrennt für Dusche und WC, neu und modern. Prima!

Viel Gepäck hatte ich nicht mit rein genommen, meinen kleinen Rucksack mit den Dingen, die ich auf Reisen immer mit mir rum schleppe sowie eine Tasche mit den Kleidungsstücken für morgen und mit meinem Waschzeug. Ich hatte mir vorgenommen, nicht all zu spät ins Bett zu gehen, denn für den nächsten Morgen hatte ich mich zu einer Besichtigung des Endlagers Morsleben angemeldet und schon für halb sieben das Frühstück bestellt.

Das nette Ehepaar, das die Pension betreibt, hat weiter hinten im Garten einen gemütlichen Bungalow, da saß ich dann noch eine ganze Weile auf ihre freundliche Einladung hin mit den beiden zusammen und wir unterhielten uns sehr angeregt. Zufällig stammte die Frau aus meiner Gegend und freute sich, mal wieder ihre Mundart zu hören.

Es war so gegen 22.30 Uhr, als ich dann endlich in meinem wirklich gemütlichen Bett lag. Der Wecker in meinem Handy war auf 6.10 Uhr gestellt, meine Sachen lagen bereit, ich konnte beruhigt einschlafen. Jetzt machte sich auch die lange Autofahrt bemerkbar, sie hatte mich doch ziemlich erschöpft und mir fielen schnell die Augen zu.

Um halb zwei wachte ich auf, weil ich glaubte, etwas gehört zu haben. Ich lauschte in die Dunkelheit und hörte – nichts. Scheinbar hatte ich geträumt. Immerhin war ich nicht mal sicher, was genau ich gehört hatte. Gerade als ich noch so ein bisschen darüber nachdachte und schon fast wieder am Wegdämmern war, ertönte ziemlich vernehmlich ein Piepton, laut und deutlich. Na also, doch nicht geträumt!

Plötzlich hellwach schaltete ich die Nachttischlampe an und guckte mich um. Was war das? Mein Handy? So ein Ton kam da bisher eigentlich noch nicht raus, aber man kann ja nie wissen … Am Handy war alles wie immer, stellte ich nach kurzer Besichtigung fest. Vorsichtshalber guckte ich nochmal nach der Weckzeit, auch perfekt! Ich saß im Bett und hoffte, dass es noch einmal piepsen würde, damit ich die Richtung des Tones lokalisieren und ihn ausschalten konnte. Es blieb ruhig. Keine Ahnung, wie lang ich da auf der Bettkante saß und lauschte. Zwischendurch kippte ich ein paar Mal leicht ab, als mich die Müdigkeit übermannte, fing mich aber dann gleich wieder, um angestrengt weiter zu horchen, aber nichts rührte sich mehr. Es war vorbei. Ich knipste die Nachttischlampe aus, kuschelte mich unter meine Decke und war froh, meine Ruhe zu haben.

Genau in diesem Moment piepste es wieder! Sofort sprang ich aus dem Bett, machte diesmal die Deckenbeleuchtung an und blieb mit dem Rücken zur Tür stehen, um das ganze Zimmer überblicken zu können. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht dahinter käme, wo sich dieser Piepser versteckt hat. Systematisch suchte ich sehr gründlich Wände, Decke, Fußboden und sämtliche Möbelstücke nach dieser eigenartigen Geräuschquelle ab, konnte aber nichts Auffälliges feststellen. An der Decke hing nur die Lampe, an den Wänden war nichts Auffälliges und vom Boden her schien mir das Geräusch eh nicht her zu kommen. Dann schlich ich mit gespitzten Ohren um den Tisch herum. Und da piepste es wieder! Genau, das Piepsen kam eindeutig vom Tisch her! Meine ganze Aufmerksamkeit galt nun diesem Möbelstück. Ich fühlte ihn ab und kroch darunter, guckte mir die Tischplatte von unten an – fand erstmal nichts. Doch so schnell gebe ich nicht auf! Da lag ja so Einiges von mir herum.

Es half nur eins: auspacken, was ich bei mir hatte und möglicherweise Töne von sich geben könnte (oder auch nicht). Innerlich stöhnte ich kurz genervt auf, war dann aber voll motiviert und fest überzeugt, den Piepser nun zu finden.

Ich packte in meiner Verzweiflung einfach ALLES aus. Zum Glück war es ja nicht so viel, das Meiste hatte ich ja im Auto gelassen. Nach kurzer Zeit lagen auf der einen Seite des Tisches Fotoapparat, Ladegerät für Handy, mobiles Handyladegerät, Fön, elektrische Zahnbürste, Selfie stick, Feuerzeug, Ladegerät für Akkus vom Fotoapparat, sämtliche Akkus, Ersatz-Bluetooth-Auslöser, Fernbedienung vom Fernseher. Auf der anderen Seite: Geldbeutel, Fahrzeugpapiere, Autoschlüssel, Labello, noch ein Labello, Tempotaschentücher, Sonnenbrille, Lesebrille, mein Buch, Haargummi, Kaugummi, Schminktäschchen, Brillenputztuch, SD-Karte, Kuli, Notizblock, Haarreifen, Deoroller. Ich guckte auch ins Bad, aber da stand nur mein Waschzeug rum und nichts, was eventuell piepsen könnte, außer der Zahnbürste und die hatte ich schon zu Kontrollzwecken auf dem Tisch platziert.

Ich nahm mir jedes einzelne Teil genau vor, schüttelte meinen Rucksack und die Tasche noch mal aus, kontrollierte auch die Hosentaschen meiner Jeans. Meine Füße wurden kalt, weil ich barfuß rum lief. Da fiel mir ein, dass ich mich vielleicht doch verhört hatte und das Piepsen von draußen herein gekommen ist. Also schloss ich vorsorglich das Fenster, obwohl ich gar nicht gerne bei geschlossenem Fenster schlafe.

Es hatte nun schon eine ganze Weile nicht mehr gepiepst. Sehr komisch! Erst kurz hintereinander, dann eine Weile wieder nichts und man denkt, es ist vorbei …Ich war hundemüde und wollte doch nur eins: endlich weiter schlafen. Mit der Hoffnung auf wenigstens noch ein bisschen Nachtruhe legte ich mich wieder hin. Tatsächlich schlief ich ein. Kurz. Bis es wieder piepste.

Naja, egal, ich wollte sowieso aufstehen, um das Fenster wieder zu öffnen. Ratlos untersuchte ich auch noch das Fernsehgerät von allen Seiten und zog den Stecker heraus.  Als ich zum Bett zurückging, fiel mein Blick auf den Autoschlüssel. War das etwa die Nervensäge? Da muss ja irgendwas drin sein, sonst würde ja die Fernbedienung am Auto nicht funktionieren. Vielleicht eine Monozelle oder sowas. Keine Ahnung. Das muss ich unbedingt mal recherchieren … Sollte ich vielleicht vorsichtshalber mal nach meinem Auto gucken? Guter Gedanke. Ich schlich mich also barfuß im Shorty raus vor die Haustür, bediente zweimal die Fernbedienung: Türen auf, Türen zu – stellte fest, dass alles normal funktionierte und schaffte es grade so zurück ins Haus, bevor die Haustür ins Schloss fiel und mich ausgesperrt hätte. Na das hätte mir noch gefehlt! Den Zimmerschlüssel, der gleichzeitig zum Öffnen der Haustür diente, hatte ich nämlich vor lauter Schusseligkeit im Zimmer liegen gelassen.

Inzwischen wurde es draußen schon langsam hell. Ich war sowas von müde und überlegte, welche Optionen mir jetzt noch blieben. Das Ehepaar anrufen ging nicht, denn ich hatte nur die Nummer der Pension und das Telefon stand neben Haustür am Empfang, während sie vermutlich eine Etage über mir wohnten und selig schliefen. Eine Handynummer hatte ich nicht von ihnen. Ich zog kurzzeitig in Erwägung, im Frühstücksraum auf einem Stuhl weiter zu schlafen oder auf dem Billardtisch und musste über mich selbst lachen. Es waren auch noch andere Gäste im Haus, doch was würde das für einen Eindruck machen, wenn ich mitten in der Nacht um Asyl nachfragte? Also irgendwie kamen alle Möglichkeiten nicht in Frage. Da stand ich nun in meinem Zimmer und mir fiel nichts Besseres ein, als alle meine Sachen, die auf dem Tisch lagen, nebst Klamotten, dem Handy, der Fernbedienung für den Fernseher, dem leeren Rucksack, der Tasche, dem Autoschlüssel und den Turnschuhen ins Bad auf den Fußboden unter das Waschbecken zu legen, mit der Decke und ein paar Kissen vom Sofa zuzudecken und die Badtür zu schließen. Wenn sich der Piepser eventuell doch zischen meinen Sachen befand, dann würde ich ihn jetzt nur noch sehr gedämpft wahrnehmen oder gar nicht mehr. Haha, ich lass mich doch nicht von so einem Piepser unterkriegen! Wo kommen wir denn da hin? Mir reicht es nämlich jetzt, so! Verbannung ins Bad – da kann das Ding sich dumm und dämlich piepsen. Also vorsichtshalber guckte ich aber doch nochmal unter das Bett …

Mit einem Handtuch ausgerüstet, total fix und alle, mit immer noch kalten und inzwischen auch schmutzigen Füßen kroch ich, zu 50% entschlossen, zu 50% der Verzweiflung nahe, unter meine Decke. Das Handtuch legte ich mir über die Augen, um meinem Bewusstsein vorzuschwindeln, dass es noch dunkle Nacht sei (leider war es mittlerweile schon glockenhell draußen). Viel Zeit blieb mir nicht mehr. Zwei Piepser ertönten noch in kurzen Abständen hintereinander. Es klang fast schon ein bisschen hämisch oder bildete ich mir das nur ein? Ich hatte nur noch ein gequältes Seufzen übrig und konnte mich nicht entscheiden, ob ich lachen, weinen, verrückt werden oder es einfach ignorieren sollte. Ich wollte es mit dem Letzteren probieren, einfach ignorieren. Da auch das Nichthinhören auf die Dauer unheimlich anstrengend und ermüdend sein kann, wirkte es dementsprechend. Im Halbschlaf gingen mir ganz sonderbare Gedanken durch den Kopf: Psychoterror, Stasigefängnisse, Folter, versteckte Kameras, Strahlungen aus der Deponie, blutrünstige Insekten – ich lese eindeutig zu viele Romane oder meine Fantasie ging mit mir durch in Anbetracht der Lage!

Irgendwann bin ich tatsächlich eingeschlafen. So fest, dass ich nichts mehr gehört habe oder es kam tatsächlich kein Geräusch mehr, ich weiß es nicht. Jedenfalls hatte ich einen sehr realistischen Traum gehabt: es war früher Morgen. Eine fremde Frau und meine Nichte waren im Zimmer und ich erzählte ihnen gerade haargenau das, was ich in dieser Nacht durchgemacht hatte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass im Traum die Tür vom Badezimmer an einer anderen Stelle war. Sonst war alles genau gleich. Die beiden glaubten mir nicht. Das regte mich auf. Mitten in meinem Bericht piepste es wieder, immerzu hintereinander. Es wollte gar nicht mehr aufhören. Davon wurde ich wach und stellte fest, dass es nicht im Traum piepste, sondern in Wirklichkeit – ach so, der Wecker von meinem Handy. Was denn, schon aufstehen? Und wieso liegt ein Handtuch auf dem Kopfkissen? Also ich mag nicht gerne mitten im Traum geweckt werden, schon gar nicht wenn er so realistisch ist. Andererseits hatte ich was vor und musste raus, in zwanzig Minuten hatte ich mein Frühstück bestellt. Ich musste kurz darüber nachdenken, was man doch für einen Schwachsinn träumen kann. Irgendwie fühlte ich mich noch total müde. Ich wollte den Weckton abschalten, fand aber das Handy gar nicht. Nanu? Ich hatte es doch gestern Abend neben das Bett gelegt? Der Weckton kam irgendwie so gedämpft bei mir an. Hatte ich das Handy etwa im Bad liegen gelassen? Ich tappte verschlafen und gähnend ins Bad.

Da traf mich fast der Schlag. Unter dem Waschbecken – die Sofadecke und die Kissen, darunter mein ganzer Krimskrams, dazwischen irgendwo mein Handy. Mir wurde heiß und kalt, weil ich Traum und Realität kaum noch auseinanderhalten konnte. Ist das die Grenze zum Durchdrehen? Gerade als mir bewusst wurde, dass mein Traum die fiktive Fortsetzung der Realität gewesen ist und ich darüber nachgrübelte, wie sowas denn möglich sein kann, piepste es wieder. In Wirklichkeit! Und nicht aus meinem Handy. In einem Comic hätte der Zeichner seiner Figur wohl an dieser Stelle die Haare zu Berge stehen lassen.

Bei Tageslicht wirkte der Ton längst nicht mehr so extrem schrill wie nachts und tatsächlich entdeckte ich endlich das Corpus Delicti an der Decke genau über der Tür. Ein Rauchmelder! Oh Mann! Kein Wunder, dass ich ihn in der Nacht nicht sehen konnte, denn da hatte ich das Teil ja hinter mir, als ich mit dem Rücken zur Tür das Zimmer inspizierte. Gehört so ein Teil nicht in die Mitte des Raumes? Naja, das war mir ja nun auch egal, die Nacht war rum. Vermutlich waren die Batterien darin leer, ich würde es nachher den Leuten sagen und sie würden sich darum kümmern.

Irgendwie war ich echt beruhigt, dass es nur der Rauchmelder war und dass ich nun erleichtert und belustigt darüber lachen konnte. Die nächste Nacht würde ich bestimmt ganz früh ins Bett gehen und den verpassten Schlaf nachholen … oder die übernächste Nacht. Eine ganze Woche Urlaub zum Ausschlafen lag ja noch vor mir.

Nie wieder Krieg

Den ganzen Tag kreisten meine Gedanken heute um das  Wort „Krieg“.

Der Bundestag hat mit großer Mehrheit dem Bundeswehreinsatz in Syrien zugestimmt. Ich war nicht sonderlich überrascht vom Ergebnis der Abstimmung, dennoch beunruhigt es mich. Sehr sogar.

Wie es wohl heute den Frauen geht, deren Söhne, Ehemänner oder Partner in der Bundeswehr dienen? Diese Gedanken sind nicht neu für mich. Sie beschäftigen mich immer, wenn es irgendwo auf der Welt, insbesondere in Europa, kriselt, zum Beispiel Ende der 90er, als sich der Konflikt im Kosovo zuspitzte oder kurze Zeit später in Afghanistan nach dem Anschlag auf die Twin Towers in New York.

Mir fielen heute Episoden aus Büchern ein, die ich gelesen habe, aus Filmen, die ich gesehen habe. Die meisten davon handelten im 2. Weltkrieg. Natürlich wird heutzutage mit viel besseren Waffen gekämpft, zielgerichteter zerstört und Leben vernichtet. Doch eins wird gleich bleiben: unschuldige Menschen verlieren ihr Leben, so wie es in den Kriegsgebieten jetzt schon fürchterlicher Alltag ist.

In irgend einem Geschichtsbuch aus der Schule war die Lithographie von Käthe Kollwitz „Nie wieder Krieg“ abgebildet. Sie stammt aus dem Jahr 1924, hängt heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin (hätte ich ohne Dr. Google nicht gewusst) und ich glaube, wir haben damals auch im Kunstunterricht darüber gesprochen. Ich fand die Gestalt mit dem mahnend erhobenen Arm als Kind Angst einflößend. Leider nutzen oft die besten Plakate nichts …

Ich musste heute auch an ein paar Schilderungen aus Krieg und Gefangenschaft von meinem Opa denken. Viel hat er ja nicht erzählt. Manches habe ich leider auch schon wieder vergessen. Fragen kann ich ihn nicht mehr. In einer Schachtel bewahrt meine Mutter alte Fotos und Erinnerungen auf. Sie selbst war ein Kind, als ihr Vater im Krieg war. Dieses Foto entstand Anfang 1940.

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Er kehrte erst spät aus der Gefangenschaft zurück, ein sogenannter „Spätheimkehrer“ war er. Natürlich wäre er lieber früher heimgekehrt, aber ich glaube, Opa war froh, dass er diesen Krieg und die Gefangenschaft überhaupt überlebt hatte.

Auch sein Bruder Walter war im Krieg und ist in Gefangenschaft geraten. Eine Karte aus dem Gefangenenlager an seinen Vater und die Familie war damals nicht nur ein Lebenszeichen sondern auch Hoffnung auf ein Wiedersehen.

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Walter überlebte die Gefangenschaft und kehrte zurück.

Werden auch alle Bundeswehrsoldaten nach ihrem Einsatz, wenn es tatsächlich soweit kommt, wieder gesund zu ihren Familien zurückkommen? Ich wünsche es allen von ganzem Herzen!

Stell dir vor, es wäre Krieg

Wir schreiben das Jahr 2021. In Deutschland ist seit zwei Jahren Krieg.

Es wird geschossen, geplündert, gemordet, Menschen verschwinden spurlos, Häuser werden nieder gebrannt, es kommt zu Massakern und Anschlägen. Nicht mal Schulen, Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen bleiben verschont. Keiner ist sich seines Lebens mehr sicher. Betriebe werden systematisch zerstört, eine kontinuierliche Produktion ist nicht mehr möglich, dadurch fehlt es an Allem. Die Mütter haben Angst um ihre Kinder, Familien werden auseinander gerissen, Männer müssen in den Krieg, ob sie wollen oder nicht. Ein normales Leben ist nicht mehr möglich. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln wird zunehmend schwieriger, in den Städten ist die Lage auf Grund der Bevölkerungsdichte bedrohlich. Immer mehr Menschen werden obdachlos, ihre Häuser wurden im Kampf zerschossen und zerbombt. Die Kinder sind total verstört und ängstlich, wachen in der Nacht schreiend auf, wenn in der Ferne Schüsse fallen. Wir haben alle Angst. ANGST!

Aus unserem Bekanntenkreis sind die ersten Menschen umgekommen. Was können wir tun, um zu überleben?Einfach hier weg gehen? Unsere Kinder sind noch klein, wir haben Verantwortung, müssen sie beschützen, für sie sorgen. Ich will nicht, dass mein Mann kämpfen muss und vielleicht sein Leben verliert. Wir wollen als Familie zusammen bleiben. Doch da ist unser Haus und alles, was wir uns in den ganzen Jahren geschaffen haben. Das können wir nicht so einfach aufgeben. Was wird aus unseren Eltern, wenn wir gehen? Ich bin verzweifelt, ratlos, hin und her gerissen.

Wir könnten in ein anderes Land fliehen, wo Frieden ist, wo wir sicher wären, bis dieser furchtbare Krieg ein Ende hat. Andere Menschen aus unserer Stadt sind schon lange weg, weil sie kein zuhause mehr haben und ihr Leben retten wollten. Wir hatten bisher immer noch Hoffnung, dass der Krieg endet. Doch die Hoffnung schwindet, von Tag zu Tag ist weniger davon übrig. Es wird uns nichts Anderes übrig bleiben, wir müssen hier alles aufgeben und zurück lassen, was uns wichtig ist – unsere Heimat verlassen, liebe Familienangehörige, die zu alt sind für die Strapazen einer Flucht und die wir vielleicht nie wieder sehen werden – das ist der schlimmste Gedanke.

Viele Fragen drängen sich mir auf: Reicht unser erspartes Geld für eine Flucht? Wohin sollen wir gehen? Wer hilft uns dabei, denn alle Grenzen sind dicht und eigentlich will kein Nachbarland mehr neue Flüchtlinge aufnehmen? Werden wir es irgendwie schaffen mit den Kindern durch zu kommen? Wie gefährlich wird es sein? Riskieren wir vielleicht sogar unser Leben dabei? Wie lange werden wir unterwegs sein in ein Land, dass uns aufnimmt? Was nehmen wir mit? Wie wird man uns aufnehmen in dem fremden Land? Wird man Verständnis für unsere Situation haben? Wird man uns tolerieren? Wovon werden wir leben? Bekommen wir die Chance, für unseren Unterhalt selbst zu sorgen, indem wir arbeiten und etwas Geld verdienen? Können wir uns gut anpassen und kommen wir mit der Sprache und den fremden Gepflogenheiten zurecht? Werden unsere Kinder Freunde finden? Können wir mit unseren zurückgebliebenen Angehörigen Kontakt halten? Wann wird der Krieg vorbei sein und wir können endlich wieder in unsere Heimat und zu unseren Angehörigen zurückkehren?  

Meine Familie und ich – wir wären dann Flüchtlinge. Es ist erst ein paar Jahre her und ich kann mich gut erinnern wie 2015 und 2016 viele Flüchtlinge aus Kriegsgebieten oder den Balkanstaaten in unser Land und andere Staaten Europas gekommen sind und um Asyl gebeten haben. Unsere Regierung, die Europäische Union und die Bevölkerung wurden auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Es gab viel Solidarität und Empathie. Es gab Ablehnung und Fremdenhass. 

Wie gehe ich damit um, wenn meine Familie Feindlichkeiten ausgesetzt wird oder wenn ihr Gewalt widerfährt, wenn man uns demütigt oder beschimpft? Was ist das größere Übel? Im eigenen Land zu bleiben und in ständiger Angst vor Krieg und Terror zu leben oder in einem fremden Land um Hilfe zu bitten und sich unerwünscht zu fühlen? 

Ich wünschte, dieser Krieg wäre nie gekommen. Dann müsste ich mir nicht solche Gedanken machen, wir könnten unseren Kindern ein glückliches, unbeschwertes Leben bieten, hätten unser Auskommen, würden uns an den Schönheiten unserer Heimat erfreuen – jeden Tag aufs Neue und ganz bewusst. 

Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurück drehen in das Jahr 2015, als in unserem Land noch Frieden war. Ich wünschte, unsere Regierung hätte von Anfang an anders gehandelt und klare Zahlen genannt, was unser Land leisten kann und wo wir an unsere finanziellen Grenzen stoßen. Ich hätte vermutlich auch nicht mehr tun können, ich wäre vielleicht auch sauer gewesen, wenn Flüchtlinge unverschämte Forderungen gestellt hätten und die Regierung einfach nicht reagiert hätte, aber ich würde weniger schweigen zu den Kommentaren mancher Menschen, die überhaupt kein Mitgefühl aufbringen können.

Das Wichtigste jedoch wäre gewesen:

Wir würden leben. IN FRIEDEN LEBEN.

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Ziemlich heiße Fotos

Es war eher spontan, dass wir an diesem 25. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands nach Mödlareuth gefahren sind. Für mich war es in diesem Jahr der zweite Besuch dort. Als ich im Juni im Rahmen eines Seminars dort war, den Film im Museum gesehen und danach die Führung mitgemacht hatte, spürte ich ein beklemmendes Gefühl, fast wie fremdschämen oder so. Die anderen Seminarteilnehmer waren allesamt aus den „alten“ Bundesländern, ich der einzige „Ossi“. Klar ist inzwischen alles Geschichte, was damals war, vergessen ist es jedoch nicht.

Als mein Mann und ich ankamen, war ich erst einmal baff: ich hatte mit vielen Leuten gerechnet. Aber nicht damit, dass dieses Ereignis wie ein Volksfest mit großem Zelt, Blasmusik usw. gefeiert wird. Ganz schön Stimmung war da! Die vielen Menschen, die Musik – so richtig in sich gehen war da nicht. Dieses Gefühl, dass mich im Juni beschlichen hatte, stellte sich nicht wieder ein.

Nach Museum, den Ausstellungen und Rundgang setzten wir uns in ein Zelt etwas abseits vom großen Trubel und beobachteten das Treiben. Ich musste an den Film „Tannbach“ denken. Und ich musste an all die Menschen in meinem Leben denken, die ich nie kennen gelernt hätte, wenn es diese Grenze noch gäbe. Das stimmte mich erst nachdenklich und dann sehr froh. Ja, diesmal hatte ich Leichtigkeit und ein Freiheitsgefühl in mir. Nun wollte ich noch die Politprominenz sehen – wenn ich schon mal hier bin. Also machten wir uns auf Richtung großes Festzelt.

Die Kapelle spielte gerade „Kennst du die Perle, die Perle Tirols …“ Klar kenne ich die. War schon mal in Kufstein. Also sang und jodelte ich in meinem gerade gewonnen Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit auf dem Weg zum Zelt laut mit (das Jodeln hört sich bei mir aber eher kläglich an – so eine Art Jammerjodel oder so – egal, kanns halt nicht wirklich), was meinen Mann veranlasste, etwas Abstand von mir zu nehmen (nein, nein, die gehört nicht zu mir – grins).

Es schien gerade der richtige Augenblick gewesen zu sein, denn gerade, als wir auf den Eingang des Zeltes zu gingen, kamen uns von der anderen Seite her, von Polizei flankiert und voran ein Kameramann, die Herren Söder und Friedrich mit ein paar anderen Herrschaften entgegen. Weil ich sie mal von ganz nah sehen wollte, schloss ich mich kurzerhand dem Tross an, als ob ich dazu gehörte. Also einen Anzug hatte ich nicht an, Jeanshose unten, Jeanshemd oben, aber meine Kamera, die ich demonstrativ etwas höher vor mir hielt, ließ vermutlich den einen oder anderen Besucher glauben, dass ich von der Presse wäre – grins.

Am Eingang des Zeltes hörte ich gerade den Moderator drinnen am Mikrofon sagen, dass sich doch die Leute zum Empfang des Bayrischen Staatsministers Markus Söder und des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Hans-Peter Friedrich erheben mögen. Die Blaskapelle spielte einen Marsch und der Einzug ins Zelt erfolgt durch eine sich bildende Gasse Beifall klatschender Menschen. Da ich so dicht hinter den Herren stand, blieb mir gar nichts weiter übrig, als hinterher mitten durch die applaudierende Menschenmenge Richtung Bühne zu marschieren, denn gleich hinter mir schloss sich die Gasse wieder. Also nickte ich den Menschen links und rechts fröhlich zu, tat so, als ob ich zur Prominenz gehörte (ist das Anmaßung?) hielt meine Kamera noch ein My höher (wollte ich mich etwa dahinter verstecken?) Du liebe Zeit, dabei wollte ich doch nur ein paar Fotos machen!

Vorne angekommen wurden die Herren an eine Biertischgarnitur begleitet. Nun stand ich ganz vorne an dem blau-weißen Absperrseil, machte meine Fotos, hörte noch ein bisschen dem ersten Redner zu und wollte wieder zurück. Ging aber nicht – alles dicht. Die anderen Menschen wollten auch die Politiker sehen und vielleicht deren Reden noch anhören. Das wollte ich nicht, mir wurde nämlich auf einmal so heiß in dem Gedränge – ich spürte geradezu das Wachsen der kleinen Schweißperlen auf Stirn und zwischen Nase und Oberlippe  – weshalb ich mich nach dem kürzesten Ausgang umschaute und schon in Erwägung zog, neben der Bühne unten durch das Zelt kriechen. Immer noch besser, als sich durch diese Massen durch zu kämpfen oder mangels Sauerstoff oder wegen Überhitzung tot umzufallen – na gut, ich übertreibe – eine Herzkasper zu kriegen. Eine Frau neben mir wollte scheinbar auch raus und guckte sich um. Die Rettung kam in Form eines Kameramanns hoch lebe der Bayrische Rundfunk! Er wurde durch die blau-weiße Absperrung gelassen, die andere Frau und ich schlossen sich ihm erleichtert an. Dadurch gelang es mir, schweißgebadet aber erleichtert wieder zum Ausgang zu kommen. Luft – phhhhhu, das tat gut! Noch ein letztes Foto von hinten in Richtung Bühne und dann nichts wie raus aus dem Brutkasten.

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So war also das Fotografieren von Söder und Friedrich eine ganz heiße Angelegenheit – das muss ich schon sagen.

Mein Mann fragte mich draußen, warum ich die beiden denn unbedingt sehen und fotografieren musste, schließlich kann ich mir doch auch Fotos im Internet angucken und so. Da fiel mir ehrlich gesagt keine Antwort ein. Ich wusste es auch nicht. Mir war eben einfach danach. Und wenn mir wonach ist, dann mache ich es halt – auch wenn ich dabei unter Umständen heiden ins Schwitzten kommen kann. Punkt.

Sie nannten ihn Heino

Er kann Geschichten erzählen. Viele Geschichten. Würde er ein Buch schreiben, so hätte es viele Seiten. Hätte er alle Fotos von damals noch … Aber er durfte sie natürlich nicht behalten. Er musste alle abgeben. Sicher wurden sie alle vernichtet, als er 1974 nach zehn Jahren Dienstzeit in ein Leben ohne Befehle, Grenzstreife, Uniform, Waffe und all dem,  was zu seinem bisherigen Alltag gehörte,  zurück ging.

Sie hatten ihn Heino genannt, die vom BGS auf der anderen Seite der ehemaligen Staatsgrenze. Kein Wunder – die Haare semmelblond, seitlich gescheitelt, markante Gesichtszüge, schlank, die dunkle Sonnenbrille – unverkennbar die Ähnlichkeit, da hat man schnell seinen Spitznamen weg. Wenn er mit seiner Kamera an der Grenze unterwegs war zwischen Holzhausen und Eishausen, dann wussten drüben alle bescheid: Aha, der Heino hat wieder Dienst. Nach so vielen Dienstjahren kannte man sich vom Gesicht her. Da flog auch mal eine Schachtel Zigaretten über´n Zaun oder ein paar Worte wurden gewechselt. Jetzt darf man das ja schreiben.

Einmal fragte einer von drüben: „Na? Heut wird wohl nicht fotografiert?“ Heino antwortete: „Nö, heut nicht. Gibt keine Filme.“ Tja, die üblichen Engpässe in der sozialistischen Planwirtschaft …

Irgendwann landete mal ein Hubschrauber auf der anderen Seite. Ein General war an Bord und begrüßte „Heino“ persönlich über den Zaun hinweg. Da hatte es sich also tatsächlich bis ins Hauptquartier des BGS herum gesprochen, dass es einen ostdeutschen Heino gab. Es wurden Filmaufnahmen gemacht. Der General sagte zu Heino, dass er am nächsten Tag im ZDF zu sehen wäre. Natürlich wurde am nächsten Tag West-Fernsehen geguckt, aber es kam nichts. Wer weiß, ob es tatsächlich Aufnahmen gab und wenn ja, ob diese überhaupt noch existieren in irgend einem Archiv der Bundeswehr oder des ZDF… Da fällt mir ein, dass ich bei einem Seminar mal einen vom Fernsehen kennen gelernt habe, vielleicht … hm – mal sehen.

1989 wurde die Grenze geöffnet. Angehörige von Heino fuhren von da an gelegentlich am Sonnabendvormittag nach Coburg. Den Opa, Heino´s Vater, nahmen sie immer mit in den „Westen“ und setzen ihn so lange im Gasthaus „Alter Fritz“ ab. Er brauche sich das alles nicht mehr anzugucken, wie er meinte, schließlich wäre er oft genug „drüben“ gewesen während seines Rentendaseins und „kenne sich aus“, er wolle lieber in der Wirtschaft sitzen und ein bisschen mit den Leuten rumlabern. Das tat er dann auch und wurde beizeiten an einem Stammtisch integriert, wo er erstmal im Mittelpunkt des Interesses stand. Er lud dann auch mal einen Herrn mit seiner Frau zu sich nachhause ein, eine Freundschaft bahnte sich an. Das Ehepaar kam dann gelegentlich zu Besuch und wurde schließlich sogar zum 50. Geburtstag des Schwiegersohnes eingeladen, zu dem natürlich auch Heino mit Familie eingeladen war.

Wie das Leben manchmal so spielt, saßen sich der Heino und der Herr vom Stammtisch aus dem Gasthaus „Alter Fritz“  in Coburg an der festlich gedeckten Kaffeetafel in der guten Stube zufällig gegenüber. Sie guckten sich an. Sie guckten sich sehr genau an. Ein Erkennen spiegelte sich gleichzeitig auf ihren Gesichtern wider. Sie konnten es fast nicht glauben: „Du bist doch der Heino!“ sagte der Herr vom Stammtisch, der ehemals beim BGS war. „Und ich kenn dich auch!“ sagte der Heino. Und dann wurde erstmal einer darauf getrunken.

Zufälle gibt es!

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Daumen im Wind

Als Jugendliche und junge Erwachsene hatte ich keine S 50 und kein Auto. Letzteres sowieso nicht, nicht mal eine Anmeldung für einen Trabi hatte ich – schäm! Es fuhren ja genug Busse und Züge, fand ich. Aber ich hatte meinen „Tramper-Pass“ – so nannten wir damals die „Unfallversicherung für Mitfahrer in Kraftfahrzeugen als Anhalter“ – für alle Fälle.

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Und diese Fälle waren öfter. Entweder, weil ich wieder mal einen Anschluss nicht erreicht hatte oder die Deutsche Reichsbahn bzw. die Busse vom VEB Kraftverkehr nicht dorthin fuhren, wo ich grade hin wollte. Dann stellte ich mich an den Straßenrand, manchmal allein, manchmal mit einer Freundin und wir hielten den Daumen in den Wind. Es funktionierte immer und war meistens auch recht lustig.

Wenn ich an so manche Fahrten denke … einmal habe ich von unserer Bezirksstadt Suhl bis nachhause, das sind nur ca. 36 Kilometer, tatsächlich 5 Fahrzeuge gebraucht! Ein B 1000 nahm mich bis Erlau mit. Es waren zwei Männer, die für Kinder in einem Ferienlager Verpflegung besorgt hatten. Weiß ich noch ganz genau, die waren total lustig drauf. Die beiden saßen auf den vorderen beiden Sitzen, hinten waren keine Sitze drin – lach, nur Getränkekisten und Kartons mit Essen und dazwischen saß ich auf dem Boden. Weiter ging es von Erlau bis Schleusingen, von Schleusingen bis Hildburghausen, von Hibu bis Leimrieth und der letzte Fahrer wollte eigentlich nach Römhild fahren, erbarmte sich aber und fuhr extra den Umweg über unser Dorf. Ich kam immerhin eine gute Stunde vor dem Bus an, die Sonnabend-Mittag-Suppe war noch warm und es hat mich keine müde Mark gekostet.

Ein anderes Mal wollte ich mit Fexen, meiner Schulfreundin, von der Kreisstadt nachhause zu einer Zeit, wo halt grad kein Bus fuhr. Am Ortsausgang stellten wir uns hin und naja, übliche Prozedur, Daumen hoch und so. Es hielt auch gleich ein Auto, wir machten die Tür auf und drin saß … unser Schuldirektor! Wir wussten nicht so recht, wie wir reagieren sollten, grüßten erst mal höflich und fragten anstandshalber, ob wir denn mitfahren dürften. Er meinte, sonst hätte er ja nicht angehalten. Da war die Sache für uns geritzt und wir hatten es wieder mal geschafft.

Während meiner Fachschulzeit fuhr ich immer Sonntagabend los Richtung Schmalkalden, weil ich sonst Montag früh um 5:00 in der Kreisstadt den Zug hätte nehmen müssen, aber um diese Zeit noch kein Bus dorthin fuhr. Sonntag fuhr der Zug allerdings nur bis Wernshausen, dann war Pumpe. Ich musste aber weiter bis nach Schmalkalden. Jede Woche das gleiche Dilemma – es gab keinen Anschlusszug und auch kein Bus fuhr nach Schmalkalden. Also liefen wir (meistens waren wir zu dritt oder zu viert, alles angehende Kindergärtnerinnen) über die Zwick und probierten unser Glück mit dem Daumen. Fortuna war uns immer hold, und das, obwohl wir ein Haufen „Marschgepäck“ mit uns führten: Reisetasche bzw. Rucksack, Schulbücher und jeder seine Gitarre, denn am Wochenende wurde auch zuhause gelernt und geübt. Abenteuerlich war es in der dunklen Jahreszeit, da sahen wir nur die Lichter, aber nicht, WAS für Fahrzeuge ankamen . Einmal hielt die Polizei an und hat uns „aufgesammelt“. Och, waren die freundlich, wir haben alle in das Auto rein gepasst und sie haben uns tatsächlich bis vor unsere Internatstür gefahren. Wir waren drauf und dran, mit ihnen einen Deal für den nächsten Sonntag und alle darauffolgenden aus zu machen, haben uns dann aber doch nicht getraut.

In den Semesterferien bin ich mal durch die Thüringische Rhön getrampt, ach, das war auch schön. Morgens noch nicht wissen, wo man abends landet, bleiben, wo es einem gefällt – das war genau das Richtige für mich.

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Am Wochenende war immer irgendwo Tanz. Als wir mal nachts nach dem Tanz heim gelaufen sind (das haben damals fast alle so gemacht, waren ja nur knappe 6 Kilometer), hörten wir in der Ferne ein Motorengeräusch. Die Füße haben uns vom vielen Tanzen wehgetan, wir waren müde und sehnten uns nach dem Bett. Wir hofften, das Auto würde an der Abzweigung nicht in Richtung Römhild fahren und blieben lauschend mitten auf der Straße stehen. Wer „wir“ war, weiß ich nicht mehr, mit mir auf jeden Fall so etwa sechs bis acht Jugendliche aus unserem Dorf. Das Auto bog nicht ab. Wir jubelten und machten uns bereit (Übrigens hatten wir in einer anderen Nacht schon mal getestet, dass in einen 12er Wartburg notfalls 13 Leute rein passen, wenn man es geschickt anstellt und den Kofferraum mit nutzt. Man sollte sich aber sicher sein, dass die Volkspolizei nicht irgendwo stand und kontrollierte – oh oh – oder vorher die Nummernschilder runter machen und schneller sein, als die VOPOS – lach). Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, also: Als das Auto näher kam, dem Geräusch nach musste es ein größeres Auto sein, sehen konnten wir es in der stockdunklen Nacht ja nicht, winkten wir und hüpften auf der Straße herum, der Fahrer musste einfach anhalten, was wollte er auch anderes tun bei so einer wild gewordenen Horde – lach. Wir hatten großes Glück: Es war ein W 50 und wir passten alle hinten drauf. Um diese Zeit ein Auto zum Mitfahren zu kriegen, das war schon ein kleines Wunder. Wir erfuhren dann, dass in der Stadt ein Güterzug angekommen war und der Fahrer (übrigens aus unserem Dorf kommend) Bereitschaft beim WTB (= Waren des täglichen Bedarfs) hatte und zum Entladen an den Bahnhof musste. Es war so ca. 1:30 Uhr, als er Feierabend hatte und sich auch auf sein Bett freute. Dann hat er uns aufgegabelt und mitgenommen, wer lässt denn auch Leute aus dem eigenen Dorf stehen! Was für ein netter Mensch! Mit diesem netten Menschen bin ich übrigens verheiratet – das hat sich aber erst Jahre später ergeben und ist eine ganz andere Geschichte – grins.

Einmal war ich mit meinem Freund unterwegs. Wir wollten spontan eine Woche irgendwo zelten, alles war gepackt, wir wussten nur noch nicht wohin. Also haben wir früh morgens den Atlas aufgeschlagen und ich hab mit geschlossenen Augen reingetippt, mein Finger landete in der Nähe von Eisleben. Wir fanden sogar einen See in der Nähe, also stand unser Ziel fest: Süßer See. Erst fuhren wir mit dem Bus, dann mit dem Zug, das letzte Stück bis zum Ziel mussten wir trampen. Wenn ich daran denke, muss ich jedes Mal laut lachen. Mein Turnschuh ging unterwegs auf und als ich mich zum Zubinden mit dem schweren Rucksack, Schlafsack oben drauf usw. bückte, kriegte ich irgendwie das Übergewicht und kippte kopfüber die Böschung hinunter. Eine lehrreiche Erfahrung – lach. Hat nicht wehgetan. Doch, hat. Der Bauch hat mir wehgetan. Und wie! Vom vielen Lachen hinterher. Auf jeden Fall kam dann ein Auto, das uns mitnahm bis zum Zeltplatz. Der Fahrer war gut drauf. Sehr gut. Er war nicht allein. Er hatte einen sitzen, aber was für einen! Leider merkten wir das erst, als wir schon drin saßen. Wir waren heilfroh, als wir diese Fahrt hinter uns hatten.

In den ganzen Jahren, die ich per Anhalter gefahren bin, hat mich nie jemand danach gefragt, ob ich versichert bin oder nicht. Man ist halt einfach immer mitgenommen worden ohne große Fragen und ehrlich gesagt habe ich mir nie einen Kopf um meine Sicherheit gemacht. Auch ich habe immer Leute mitgenommen, die an der Straße standen, weil ich weiß, wie es ist, wenn man an der Straße steht und die Autos einfach vorbei fahren. Das letzte Mal, als ich jemanden mitnahm, ist noch gar nicht so lange her – ein Tramper, der in Rodach stand und nach Coburg zum Zug wollte. Er hätte mein Sohn sein können und ich hatte ein gutes Gefühl. Was hat er sich gefreut!

Und neulich in Berlin – da stand eine an der Straße am ZOB, höchstens 20 Jahre alt, mit ihrem selbst gemalten Schild „Leipzig“ und die Autos fuhren vorbei … Ich hoffte, sie hatte noch Glück.

Baumeltage

Alles baumelt so vor sich hin, unten meine Beine, oben meine Zöpfe, die ich mir geflochten habe, damit mir der Wind nicht dauernd die Haare ins Gesicht pustet, in der Mitte baumelt meine Seele so gemütlich und völlig relaxed vor sich hin – was für ein wunderbares Lebensgefühl! Die Sonne streichelt warm meine unverhüllte Haut. Sieht ja keiner, hab meinen Strandkorb Richtung Dünen gedreht – da läuft kein Mensch lang. Möwen, Wespen und Schäfchenwolken ziehen vorbei, die interessieren sich jedoch nicht für mich 😉 Ich höre das Meer und das Lachen spielender Kinder, empfinde es angenehm. Manchmal nicke ich ein und träume.

Ich lasse Gedanken zu, die mir kommen und muss schmunzeln. Heute vor einer Woche und einem Tag packte ich Luftmatratze, Bettzeug, zwei 10-Liter-Wasserkanister, Campingdusche, ein paar Lebensmittel, einen klappbaren Regiestuhl und ein paar Klamotten in meinen PKW und fuhr los. Traum erfüllen: auf und davon, allein, nach irgendwohin …

Mein erstes Ziel war allerdings geplant. Pfaffschwende im Eichsfeld. Dort nahm ich an einem Forumstreffen teil mit Vortrag, Besichtigung der ehemaligen Grenzkompanie Weidenbach und einer Kapelle dicht an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Es war sehr interessant, besonders die persönlichen Erlebnisse der Menschen und die spannenden Geschichten aus vergangenen Tagen. Sabine, eine Lehrerin aus Annaberg-Buchholz, war meine erste Begegnung bei diesem Treffen. Vielleicht bleiben wir weiter in Kontakt …

Von dort aus machte ich einen Abstecher Richtung Fulda zu einem Geburtstag, dann wieder zurück zum Forumstreffen, um am Sonntag weiter zu fahren ohne festes Ziel Richtung Ostsee.

Die erste Nacht im Auto war nicht so gemütlich. Selber schuld. Wir hatten bis nachts um 1:00 draußen gesessen, gelabert und dabei sind meine Füße kalt geworden. Die nächsten Nächte war ich schlauer.

An frühen Sonntag Abend erreichte ich die Insel Poel. Eine Insel ist immer gut für eine Auszeit vom Alltag, dachte ich mir unterwegs so kurz vor HH, als sich der Verkehr sehr zähflüssig an einer Unfallstelle vorbei quälte und ich in Ruhe über mein Reiseziel nachdenken konnte.

Tja, und da bin ich nun immer noch, genieße die Seeluft und lerne jeden Tag neue Menschen kennen. Ich habe Abstecher nach Wismar und Boltenhagen gemacht und einen Bekannten besucht, der sich das wohl schönste Haus hier auf der Insel hat bauen lassen, mir eine exklusive Privatführung bot und dessen Frau das leckerste Bohnengemüse, dass ich in meinem ganzen Leben je gegessen habe, für uns gekocht hat.

Am ersten Abend hier checkte ich erstmal die Lage – WC, eventuell Dusche, Parkgebühren etc. Meinen Parkplatznachbarn (mit Wohnmobil) begegnete ich nach meinem ersten Strandbesuch zum Sonnenuntergangsfotoshooting zufällig noch mal in dem kleinen Bistro am Hafen. Später saßen wir gemütlich zusammen, tranken Büchsenbier, verscheuchten gefräßige Mücken, erzählten bis zum Müdewerden und ich tapste im Dunkeln zurück zu meinem Auto, das ich zum Glück gleich fand. Am nächsten Tag waren die Leute weiter gezogen auf ihrer Ostseeküstentour.

Abends am Strand begegnete ich einmal einem älteren Ehepaar. Er kümmerte sich rührend um seine Frau. Er fotografierte ebenfalls den Sonnenuntergang, seine Fotos waren  – naja … Wir kamen ins Gespräch. Dabei merkte ich, dass seine Frau vermutlich krank war, denn sie hatte Mühe mit dem Sprechen und Bewegen. Ich fragte, ob ich sie beide mit ihrem Apparat vor dem Sonnenuntergang fotografieren darf. Ich durfte. Dabei stellte ich ihren Fotoapparat so ein, dass seine nächsten eigenen Fotos besser gelingen würden. Er machte dann auch noch ein paar schöne Fotos und war richtig glücklich. Hand in Hand schlenderten sie etwas später zurück Richtung Leuchtturm. Ich rief zuhause an, wie jeden Tag, und erzählte von dieser Begegnung.


Eines Tages stand neben meinem Auto ein geschlossener Anhänger. Ich überlegte, was da wohl drin sein könnte. Am nächsten Morgen wusste ich es – eine Harley! Manfred, der Besitzer, wohnte gegenüber auf dem Campingplatz und machte an diesem Tag eine Spritztour. Er lud mich spontan ein, leider hatte ich keine passenden Klamotten dabei, schade.

Mein Frühstück findet ganz locker neben dem Auto statt: Regiestuhl, Einkaufskorb als Tischersatz – fertig. Brot besorge ich am Tag vorher, alles andere habe ich im Auto. Ich lasse mir Zeit, das Autoradio spielt dabei und ich lese ein paar Seiten in meinem Buch. Während dessen lüftet mein Bett und das Handy lädt auf – alles im Griff 🙂 Danach kommt der Wasserkanister aus dem Auto und meine morgendliche Katzenwäsche und das Zähneputzen folgen. Der Tag kann starten. Leider habe ich morgen das letzte Frühstück hier vor mir, dann geht’s wieder Richtung Heimat.

Wie gerne würde ich noch ein, zwei Wochen dran hängen. Ich staune jeden Tag, dass ich mit so wenigen Sachen auskomme und zufrieden bin. Hab sogar noch viel zu viel dabei. Schöne Erfahrung!

Ob ich das „Baumeltage-Feeling“ mit in den Alltag nehmen kann? Werd mir ein kleines Kistchen besorgen, das Gefühl hinein packen, bei Bedarf mit geschlossenen Augen rein gucken, mich erinnern und es schnell wieder zu machen, damit der Inhalt nicht so schnell aufgebraucht ist. Und nächstes Jahr fülle ich es wieder neu auf – weiß der Geier, wo ich dann rumbaumeln werde …

Was trägt MANN darunter?

Wer stellt denn solche Fragen? Na ich! Darüber habe ich mir tatsächlich mal schwer den Kopf zerbrochen, allerdings in einer Notsituation, die mir heute zurückblickend eher tragikomisch erscheint. Aber besser, ich beginne von vorne:

Ein Sonnabend im Sommer 1977. Papa und Opa hatten im Laufe der Woche die Küche ausgeräumt, den alten Bretterfußboden heraus gerissen und tief genug ausgeschachtet, um an diesem Tag alles mit Beton aufzufüllen. Ich, damals 7. Klasse, bin zur Hausfrau erklärt worden und war für das Kochen des Mittagessens verantwortlich, denn Mutti lag wegen ihres Kreuzes im Krankenhaus.

Die Arbeiten gingen zügig voran, gut die Hälfte der Küche war schon betoniert. Opa bediente die Mischmaschine im Hof. Mit der Schubkarre wurde Ladung für Ladung der fertigen Mischung ins Haus transportiert. Papa hatte dazu eine Holzbohle über die Treppenstufen am Hintereingang gelegt. Er plagte sich sehr und schwitze. Die meisten Arbeiten am und im Haus wurden von meinen Eltern in Eigenregie an den Wochenenden oder nach Feierabend gemacht. Handwerker holten wir uns nur in besonderen Fällen und wenn, dann in Schwarzarbeit.

Ich bemerkte irgendwann, dass es Papa immer schwerer fiel, die Schubkarre zu schieben. Er stöhnte und klagte über Bauchschmerzen. Aber es wurde weiter gearbeitet, schließlich konnte die angefangene Arbeit jetzt nicht liegen bleiben, meinte er jedenfalls.

Gerade als das letzte Eckchen fertig war, ging nichts mehr bei ihm. Er musste sich legen, weil die Schmerzen immer schlimmer wurden. Dreckig, verschwitzt und ohne mein Essen anzurühren hatte er sich auf das saubere Bett gelegt. Eigentlich wollte ich als vorübergehend amtierende Hausfrau gegen so eine Sauerei monieren, verkniff es mir bei seinem leidenden Anblick jedoch. Ihm musste es wirklich hundeelend sein.

Opa reinigte inzwischen die Mischmaschine und Arbeitsgeräte, ich putzte den Fußboden im Flur. Wir überlegten, was wir wegen Papa unternehmen sollten und beschlossen, dass es das Beste ist, die Gemeindeschwester um Rat zu fragen. Das tat ich sofort, sie wohnte nur ein paar Häuser weiter in der Gasse. Die Gemeindeschwester hatte grad keine Zeit und fertigte mich ab mit dem Tipp, Kümmeltee zu kochen und feucht-warme Umschläge auf den Bauch zu legen, das wäre gut gegen Blähungen. Ich zweifelte etwas …

Daheim angekommen bereitete ich zunächst alles für die Umschläge zu und brachte es hoch in die Schlafstube. Danach überlegte ich angestrengt, wie man denn Kümmeltee kocht. Ich hatte den Tauchsieder schon im Schöpftopf hängen, das Wasser begann langsam zu kochen. Sollte ich einfach Kümmelkörner in das kochende Wasser schütten? Und wenn ja – wieviel nimmt man dann? Einen Löffel, eine Hand voll … Keine Ahnung! Egal, Hauptsache es würde helfen. Ich ließ den Tee lange ziehen, es roch ziemlich würzig im Flur. Ich mochte Kümmel schon immer gerne, z.B. an Kümmelkraut (Weißkraut mit Schweinfleisch und Kümmel – lecker!), im Brot oder auch an Bratkartoffeln – nur als Tee??? Igitt!

Ich brachte den etwas abgekühlten Tee dann hoch zu Papa und stellte mit Bestürzen fest, dass er sich inzwischen vor Schmerzen krümmte und dass die feuchtwarmen Umschläge wieder in der Waschschüssel lagen. Sie hatten also nicht geholfen! Er trank etwas Tee, fand ihn zum Kotzen, meinte, ich sollte das Gesöff zum Fenster raus kippen und der Gemeindeschwester sagen, dass sie gefälligst den Doktor anrufen soll, statt ihm so ein Zeug aufzudrehen. Also sprang ich wieder die Gasse hoch und bat die Schwester, den Doktor anzurufen. Sie meinte, dass man wegen Bauchschmerzen nicht gleich den Doktor rufen muss. Aber ich ließ mich nicht abwimmeln und bestand darauf. Sie kannte Papa, er war nie zimperlich, also musste es doch etwas Ernstes sein. Schließlich rief sie an. Ich sprang wieder heim, wo sich Papa inzwischen auf dem Fußboden wälzte. Ich fühlte mich so hilflos und es dauerte ewig, bis der Doktor kam. Der Opa war auch fix und fertig und raufte sich ständig seine paar Haare, war aber genauso ratlos und hatte sichtlich Angst um seinen Schwiegersohn.

Endlich kam der Doktor. Mein erstes Gefühl war Erleichterung. Doch dann schämte ich mich, weil Papa so verschwitzt war und ich nicht dafür gesorgt hatte, dass er sauber war. Ich hätte den Badeofen anschüren sollen, dann hätte er sich baden oder duschen können … Warum bin ich nur nicht darauf gekommen? Ich wurde erstmal vor die Tür geschickt und musste warten.

Es dauerte nicht lange, da kam der Doktor eilig wieder heraus, teilte Opa und mir mit, dass Papa  schnellstens ins Krankenhaus und am Blinddarm operiert werden muss, der vermutlich geplatzt ist. Ich sollte in der Zeit bis zum Eintreffen des Krankenwagens die Sachen für das Krankenhaus packen. Der Doktor ließ sich von seinem Chauffeur zur Gemeindeschwester fahren, um von deren Telefon aus persönlich einen Krankenwagen zu bestellen. Dann kam er wieder und wartete auf das Eintreffen des Krankenwagens.

 Papa hatte sich irgendwie nach unten geschleppt, um sich wenigstens notdürftig zu waschen. Opa war in seiner Nähe und ich stand ganz allein mit der großen Reisetasche vor dem Herrenschrank. Das zweite Gefühl stellte sich ein: Ratlosigkeit. Ich grübelte, was ich einpacken sollte. Erstens hatte ich noch nie vorher alleine eine Tasche packen müssen, zweitens schon gar nicht für´s Krankenhaus und drittens erst recht nicht für einen Mann. Ich kannte Papa mit Hose und Hemd, aber was hat er immer darunter an? Ich wusste es nicht. Da lagen die gerippten Sachen – kurz und lang, weiß und graublau, für obenrum und für untenrum – ordentlich sortiert vor mir im Schrank und stellten mich vor dieses Problem. Mir fiel ein, dass Soldaten immer lange Unterhosen anhaben müssen. Das hatte mal jemand erzählt bei einer Familienfeier. Aber haben die unter der langen Unterhose noch eine kurze an? Wenn nicht, dann bräuchten sie ja sieben lange Unterhosen in der Woche, für jeden Tag eine frische. Oder mussten die etwa ihre Unterhosen mehrere Tage tragen? Pfui! Hat Papa auch immer lange Unterhosen an oder manchmal nur kurze oder eine kurze und darüber eine lange? Wie lange würde er überhaupt im Krankenhaus bleiben müssen? Würden für den Anfang von jeder Sorte erstmal fünf Teile reichen? Fragen, Fragen, Fragen. Mir schwirrte der Kopf. Mit keiner Silbe dachte ich daran, dass man im Krankenhaus eventuell einen Schlafanzug braucht …

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Am Sonnabend, wenn Badetag war, sah ich manchmal flüchtig den Stapel frischer Wäsche, den Mutti für Papa bereit legte. Obendrauf lagen immer die Strümpfe, ganz unten die Hose. Dazwischen lagen die anderen Sachen, die ein Mann halt so drüber oder drunter trägt. Mir graute vor meiner Zukunft als wäschestapelbereitlegende Ehefrau! Nä, daran wollte ich jetzt überhaupt nicht denken. Die Zeit drängte.

Keiner war da, der meine Fragen hätte beantworten können. Opa kam nicht in Frage, das hätte ihn peinlich berührt. Also packte ich kurzerhand von jedem Stapel im Schrank etwas in die Tasche und trug diese runter neben die Haustür. Für alle Fälle legte ich noch zwei Flaschen Bier mit rein. Da würde sich Papa heut Abend nach der OP bestimmt freuen. Zum Glück hatten wir zufällig Flaschenbier da, denn normalerweise holte sich Papa seinen Krug Selbstgebrautes jeden Abend frisch gezapft aus dem Fass in unserem Keller.

Als der Krankenwagen mit Papa weg war, fiel eine richtige Last von mir. Erstmal. Später erfuhren wir, dass es bei Papa allerhöchste Zeit war, er hätte keine ganze Stunde mehr gehabt. Und ich hatte mir so sinnlose Gedanken um seine Klamotten gemacht, wo doch sein Leben an einem seidenen Faden hing!

Dass ich danach ein paar Wochen lang, während beide Eltern im Krankenhaus lagen, den Haushalt, meine kleine Schwester und den Opa versorgen musste, die Küche mitsamt dem Gasherd weiterhin provisorisch im Flur stand, die Wäsche nicht mit Halb- oder Vollautomat sondern mit der einfachen „Schwarzenberg“ und der Schleuder zu bewältigen war und ich nebenbei noch von Montag bis Sonnabend zur Schule musste, daran dachte ich in diesem Moment nicht. Aber letztendlich war alles zu schaffen, nur eine Frage der Organisation. Das habe ich gelernt. Und bei Papa wurde nach langer Zeit und ein paar Komplikationen alles wieder gut.

Wir haben später in der Familie noch oft über diese Zeit geredet und herzhaft über den Inhalt der Reisetasche gelacht. Es war weder ein Schlafanzug drin, noch Bademantel, Rasierzeug, Waschzeug oder Handtuch, dafür zwei Flaschen Bier 😉 Was mögen sich wohl die Krankenschwestern gedacht haben?

Schmunzeln muss ich heute noch, wenn ich daran denke, wie ich mir damals den Kopf darüber zerbrochen habe, was ein Mann wohl untendrunter trägt. Ich habe jedenfalls bis heute nie einem Mann die Wäsche auf einem geordneten Stapel bereit gelegt. Ich fände es auch ziemlich unerotisch. Da lasse ich mich doch lieber von dem DARUNTER überraschen … 😉

Übrigens sind die heutigen Feinrippsachen gar nicht mal so übel

Ein Hoch auf den VEB – Der „UNKRAUTSAUGER“ aus Oberlind

Die Rosen mussten weg. Wenigstens die zwei Sträucher auf der einen Seite vor der Terrasse kurz vor dem Eingang. Zum Einen hatte der Rosenrost erbarmungslos zugeschlagen und ich das rechtzeitige Spritzen versäumt, zum Anderen waren sie in den letzten Jahren so üppig gewachsen, dass sie bis auf den sowieso schon schmalen Pflasterweg über hingen und Besucher einen Bogen machen mussten, damit sie sich nicht an den Dornen verletzten.

Nach dem Ausgraben der Sträucher lagen die vergammelten, rosenrostigen Blätter auf Weg, Rabatte und – na prima! – auch noch hinter dem schmalen Plastikstreifen, den ich in die Erde gesteckt hatte, damit diese wegen ihrer Feuchtigkeit von der Mauer der Terrasse abgegrenzt war. Ich entsorgte als erstes die Blätter auf dem Weg und der Rabatte und überlegte mir dabei, wie ich diese neu gestalten würde. Sehr groß ist die Fläche nicht, trotzdem sollte es schön aussehen. Mir kam ein wunderschöner Vorgarten in den Sinn, an dem ich immer jeden Freitag auf dem Weg zur Klinik vorbei fuhr und nahm mir vor, diese Woche mal dort anzuhalten und zu gucken, was da so alles wächst.

Aber erstmal musste ich irgendwie die verdorrten Blätter in der schmalen Ritze hinter dem Streifen heraus puhlen. Es sollte möglichst schnell gehen und danach sollte alles pikobello sauber sein. Als ich gerade so sinnierte, kam mein Mann aus der Scheune und mit ihm kam mir die Idee – wir haben doch noch den alten Staubsauger hinten im Hühnerstall, der musste mal wieder ran. Also zur Erklärung: Wir haben keine Hühner mehr, nur noch den ehemaligen Stall. Darin hat sich alles Mögliche angesammelt, was wir im Haus nicht mehr gebrauchen können, aber auch noch nicht wegwerfen wollen sowie diverse Ersatzteile und anderer Krimskrams.

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Ich wollte erst rufen: Kannst du mal bitte den alten Staubi mitbringen? Entschied mich dann aber für: Schahatz? Kannst du mal bitte den UNKRAUTSAUGER mitbringen? Dafür erntete ich zunächst einen verständnislosen Blick, dafür gingen aber sofort zwei Köpfe auf dem Balkon der Nachbarschaft in die Höhe, Blick gespannt in unsere Richtung, mit einem Gesichtsausdruck: Die haben aber auch alles! wie ich bei einem flüchtig-belustigten Blick in ihre Richtung bemerkte. Ich ergänzte schnell noch vielsagend: Du weißt doch, hinten im Hühnerstall … ahhh, er begriff, grinste und verschwand Richtung Scheune, um kurz darauf mit einem nicht mehr ganz taufrischen, leicht lädierten, aber durchaus noch voll funktionstüchtigen Staubsauger aus den 60er Jahren aufzutauchen. Soll ich dir den UNKRAUTSAUGER gleich anschließen? Fragte er, wickelte bereits das Kabel ab und steckte die Fugendüse auf. Die Köpfe auf dem Balkon gingen noch ein bisschen höher, denn dummerweise, versperrten ein paar Sträucher die freie Sicht. Wir fanden es sehr amüsant, doch dann widmeten wir uns voll und ganz der restlosen Beseitigung des alten Laubs – ging ruck zuck. Ja, okay, mit Harry Potters Feuerblitz ist er nicht zu vergleichen, so geht er bei Weitem nicht ab mit seinen 250 Watt … Aber immerhin!

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Tja, kaum zu glauben: das fast 60 Jahre alte Gerät ist einfach nicht unterzukriegen! Es saugt nach wie vor und darüber hinaus hat es einen enormen Unterhaltungswert – zumindest für unsere Nachbarschaft 😉 Da soll noch mal einer sagen, in der DDR wurde nichts Gescheites produziert – lach.

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